Der Sensenmann kommt aus dem Brecht-Zimmer und Grazien verwechseln einen Konferenz-tisch mit einem Laufsteg: "Pffft" von George Tabori am Berliner Ensemble.

Foto: Aurin
Regisseur und Hauptdarsteller Martin Wuttke balanciert zwischen Kalauer und doppelbödigem Spiel mit Theatergeschichte.
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Pffft – das ist das einleuchtende Klangbild, wenn irgendwo die Luft heraus ist. Aus einem Reifen, einer Liebe, einem Leben. George Tabori nahm’s also zum Titel einer chaotischen, verrückten, witzigen, traurig anmutigen Liebesgeschichte.

Pffft oder der letzte Tango am Telefon entstand auf 30 Seiten 1981 und erschien 2002 bei Klaus Wagenbach in Berlin. Etliche Wochen vor seinem Tode gab er den Text an Martin Wuttke, er solle ihn auf die Bühne bringen und selbst den Monolog spielen.

Eine glänzende Idee, wie sich jetzt bei der Uraufführung am Berliner Ensemble (BE) im Foyer in einer guten Stunde nachdenklich-vergnügten Theaters vor einem mit Weggefährten prominent durchsetzten Publikum herausstellte. George Tabori, jahrzehntelang Mitstreiter von BE-Intendant Claus Peymann, in diesem Sommer mit 93 Jahren in Berlin gestorben, war ein Mann, der wach bis zum Schluss das Leben liebte. Er war ein Mann, der die Frauen liebte, sich selbst auch durchaus zu schätzen wusste, aber er hatte kritisch-neugierigen Abstand zu sich selbst, und er konnte darüber staunen, was er tat und was mit ihm geschah. Was bis zur Vernichtung seiner Familie in Auschwitz oft grausam genug war.

"Ich" und "mich"

Der Sinn fürs Verrückte, mit lächelnder Melancholie gewürzt, bestimmt auch diesen Text, in dem er die Distanz zu sich selbst sinnfällig macht, in dem er sich in "ich" und "mich" doppelt und mit sich selbst Schach spielt.

Die Liebe zu einer schönen Frau hält ihn in Atem und bringt auch die Finanzen durcheinander. Das Resultat ist ein komisches Duett und Duell am Telefon mit dem Steuerbeamten.

Martin Wuttke ist nicht nur maßgeschneidert der ideale Darsteller dieses umgetriebenen Liebhabers, sondern auch gewitzter Regisseur eines bejubelten Abends: im Jahrhundertwendepomp des BE-Foyers, eines Saals mit edlem Holz, Stuck, Lüstern, Gold, Marmor und einer Empore, ist die Bühne ein riesiger Konferenztisch. Dieser wird zum Catwalk für acht antike Grazien, die mit griechischen Theatermasken auf der Empore als Chor das Spiel eröffnen und in langer eleganter Tunika das Geschehen begleiten.

Klassik und Unruhe

Das ist untheatralisch, wie Monologe nun mal sind, aber von Martin Wuttke einfalls-reich aufgepeppt. Der Hinweis "Ich bin beim Griechen" reicht schon zur Erfindung der schönen Klassikgöttinnen. Und der Beginn der Liebe in einer Telefonzelle genügt, um den verschmähten Liebhaber in ein Konzert von Telefonapparaten, Handys und einem Mikrofon zu verwickeln, das in der Hose Unruhe stiftet.

Martin Wuttke als verzweifelt Rastloser, vom eigenen Verführercharme gehetzt – Nina von Mechow (Ausstattung) hat ihn in ein verknittertes Schottenkaro-Jackett mit Weste gezwängt und mit zerzauster blonder und später brauner Perücke garniert.

Ein kaputter Charmeur ist da am Werk, klebrig wie sein Kaugummi, mitleiderregend auf letzter Pirsch, am Ende. Der Tod, von Wuttke mit Anke Engelsmann sinnvoll live eingeführt, kommt aus dem alten, heiligen Brecht-Zimmer nebenan, nimmt in schwarzem Habit mit Kapuze und Sense im Arm ausgerechnet neben Rolf Hochhuth an der Tafel Platz. Aus seinen weiten Ärmeln kommen Rauchschwaden. Der letzte Tango am Telefon geht zu Ende. Die Liebe und das Leben auch, ganz einfach nur mit "Pffft" – aber auch mit Pfiff. (Lorenz Tomerius aus Berlin, DER STANDARD/Printausgabe, 21.11.2007)