Wien – Gerade einmal zehn Tage existiert "brut" – und schon polarisierte die neue Theaterhütte mit einem Doppelabend im Künstlerhaus-Parterre und Konzerthaus-Keller ganz kräftig. Hüben mit dem Stück und der jungen Wiener Choreografin Doris Uhlich und drüben mit der Videoarbeit Long Night of Old Stagers/Die lange Nacht der Alten der Gruppe God’s Entertainment.

Unter dem Motto Jung bleibt Alt waren da zwei Zugänge im Umgang mit älteren Menschen zu sehen, wie sie verschiedener nicht sein könnten. Uhlich, bekannt auch als Mitglied des Wiener theatercombinat, schaffte es zusammen mit ihrer Dramaturgin Andrea Salzmann, aus einer fragilen Erstfassung ein kleines Wunderwerk zu machen. Im leergeräumten Saal setzte sie sich mit neun Laiendarstellern im Alter zwischen 59 und 86 Jahren in eine Stuhlreihe und entwickelte mit ihnen eine sensible Struktur aus Präsenzen, die einfach über ihre exponierte Gegenwart auf der Bühne und einfache Handlungen vom Älter- und trotzdem Frischsein erzählen.

In und werden Stereotypen von reifen Menschen auf Typen zurückgeführt, die durch Aktionen aus den Verhaltensmustern, die wir ihnen zuschreiben würden, überraschen. Der würdige Flaneur, der unseren Blick durch unvermutete Hopser aus dem Konzept bringt. Die betagte Tänzerin, die balletthafte Figuren und Sprünge hinlegt. Die respektable Dame mittleren Alters, die das Innenleben von Wohnhäusern ganz genau beschreibt. Der 1921 geborene Frédéric Nedoma-Ohnhäuser, der unter anderem einen kleinen Step hinlegt und durch seinen Charme die Herzen der Zuschauer im Sturm erobert.

Uhlichs Geste ist ganz klar. Da wird über das Paradoxon der Ausgrenzung des Altwerdens in einer Gesellschaft verhandelt, die den Lebensabend bei gleichzeitiger Propagierung maximaler Lebenserwartung neurotisch verdrängt. Hier geschieht das in einem kühlen Ambiente ohne Musik und ohne betuliches Moralisieren. Alle Setzungen sind leicht und erfolgen in einem schlüssigen Rhythmus. Sensibilität gegenüber und Respekt vor den Darstellern übertragen sich wie selbstverständlich auf das Publikum.

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God’s Entertainment verhält sich genau andersherum. Ihr Video zeigt in trashigen Sequenzen, wie sich eine Gruppe junger Leute in ein Altersheim setzt und die dort versammelten Bewohner Schritt für Schritt aufs Glatteis führt. Was mit ironischen Hinweisen auf die heute seltsam anmutende Vergötterung von Schauspielern in der alten Wiener Theaterseligkeit beginnt, wird schnell denunziatorisch. Die alten Menschen, angestiert von einer voyeuristischen Kamera, werden mit Ausschnitten aus skandalträchtig anmutenden jüngeren Bühnenwerken konfrontiert, deren Zusammenhänge sie offensichtlich nicht kennen.

Und genüsslich weidet sich die Gruppe an der zu erwartenden Befremdung. Die kleinkarierte Verächtlichmachung von diskursiv Wehrlosen, die Arroganz elitären Gehabes wird dabei nur noch übertroffen von den in diesem Zusammenhang zynischen, in jeder Hinsicht verunstaltenden Aufnahmen, wie sie in den dümmsten Kommerz-TV-Sendern so nicht zu sehen sind. Was hier vielleicht beabsichtigt ist, nämlich ein Angriff auf den sensationsgeilen Blick des Konsumpublikums, geht in der bruchlosen Abwicklung des perversen Bilderflusses peinlich daneben. (Helmut Ploebst, DER STANDARD/Printausgabe, 21.11.2007)