Bild nicht mehr verfügbar.

Viel-Reisende haben im Bücherregal ein eigenes Plätzchen für Reiseliteratur. Robert Haidinger wirft einen Blick auf die Special-Interest-Serien, die auch erfahrenen Reisenden alte Destinationen von neuen Seiten zeigen.

Diesen Sommer fiel, nicht nur in Wiens Innenstadt, sondern durchaus auch an anderen Orten Europas, dem geschulten Auge eine Häufung von Herren mittleren Alters auf, die sich eine erstaunlich kollektive Art der Verkleidung zugelegt hatten: nämlich Strohhüte der eher eleganten Machart. Das strohgelbe Rauschen über graumelierten Schläfen sollte dabei wohl für Sommerfrische stehen und für einen kultivierten Zugang zum urbanen Genuss. Zugleich schärften die Hüte, in einer zweiten Phase der Reflexion, generell den Blick aufs Handwerkszeug des Urlaubens - das prinzipiellen Moden unterworfen ist. Reiseführer, die man ja nicht nur unterwegs zurate zieht, klinken sich von dieser Dynamik keineswegs aus. Längst verbindet sich mit klassischen Serien-Titeln ja auch ein spezifisch gewählter Zugang zum Reisen an sich. So haftet dem Baedeker, egal ob Großer oder Kleiner, eben dieselbe bildungsbürgerliche Musealität an, die den oben erwähnten Hermann-Hesse-Strohhut charakterisiert - aber zugleich auch dessen verlässliche Seriosität.

Und wer zwischen den Zeilen der diversen Backpacker-Guides zu lesen vermag, kann mitunter sogar die Mitreisenden erahnen, die er später im Budget-Hotel oder am Beach-Geheimtipp treffen wird. Wie eine offene Landkarte lassen sich die Vorlieben der Lonely-Planet-Internationalen (neuerdings in deutscher Übersetzung) oder eben der Öko-Müesli-Guide-Fraktion lesen. Daneben gibt es, durchaus Speckgürtel-kompatibel und für den Kurzurlaub geeignet, Mainstream-Kost: Marco Polo, Polyglott, DuMont - verpflichtend mit jenen Insidertipps garniert, die gegen das Gefühl, Normalo-Urlauber zu sein, ankämpfen. Interessanter ist mitunter der Blick auf jene Exoten oder Special-Interest-Serien, die alte Destinationen von neuer Seite zeigen.

Geophon: Ohrwurm statt Moskitostich

Feilschen um Gewürze, dann das Murmeln des Nil. Dann vom Sofa zurück ins Büro. Wie man in der Mittagspause nach Ägypten - und an andere Orte - verreist, zeigen Hörbücher vor. Sie zählen zu den großen Verkaufsschlagern der Branche, aus deren Angebot das kleine, feine Münsteraner Label "geophon" mit seinen gut recherchierten und liebevoll vertonten "akustischen Reisen" hervorsticht. Geräusche, Geschichten, Interviews und Musik verdichten sich dabei zu ebenso bunten wie informativen Klangwelten. Einwohner geben praktische Tipps, erzählen von ihrem Alltag, von versteckten Bars und stillen Parks und kuriosen Geschäften. Das Programm umfasst Reise-Hörbücher über Städte wie z. B. Berlin, Venedig und Sankt Petersburg sowie über Regionen, zu denen etwa Kanadas Westen, Norwegen, neuerdings auch Hawaii und Südafrika gehören. Dazu gibt es ein Booklet mit vielen Tipps: Während man den Urlaub im Ohr hat, kann man auf dem Stadtplan im CD-Cover den Weg der akustischen Reise verfolgen. Für eigene Erkundungen sind Adressen der beschriebenen Restaurants, Museen und Ausflugsziele sowie Literaturtipps und weiterführende Internetadressen zusammengestellt. Hörproben auf geophon.de

Schritt-Macher: Karte sticht!

In der bühnenreifen Kantine des Avantgarde-Theaters "Kampnagel" wäre man vermutlich nicht gelandet. Zumindest nicht im Rahmen einer kleinen Mittagspause des City-Trip Hamburg. Und auch jene 8,40 Euro hätte man sich erspart, die einem die Anmietung einer privaten (!) Schwimmbahn im Bogenwald-Bad kostet. Ein glatter Fehler wäre freilich auch das gewesen. Denn wer seine kleine Mittagspause individuell verbringen möchte, und das heißt: ohne Gegenverkehr beim Kraulen, aber vielleicht in der Gesellschaft von Hamburger Theatermenschen, der mag an solchen Vorschlägen durchaus Gefallen haben. Sie finden sich auf einem Kärtchen, das unter dem Titel "Pausenfüller" auch noch weitere City-Trip-Zwischenhäppchen für 15, 30, 45 oder 60 Minuten anbietet. Und das Kärtchen mit den "Pausenfüller"-Vorschlägen findet sich wiederum neben anderen themenorientierten Kärtchen - wie z. B. "Alsterwasser", "Liebesdienst", "Spurensuche" - in einer Art Schatulle, auf der "Hamburg" draufsteht. Hamburg und Berlin sind die beiden Destinationen, die die Journalistin Andrea Bierle und der Kommunikationsdesigner Carsten Kraemer in Form der innovativen "Schrittmacher"-Reiseführer vorstellen, die wie ein Kartenspiel funktionieren. 42 lose Themen-Kärtchen in Visitenkartengröße (89 x 57 mm) bereiten die beiden Citys für urbane Entdeckungsreisende auf: skurril, aufregend, meditativ, dörflich, orientalisch - in jedem Fall aber voll von Überraschungen! Das ungewöhnliche Konzept wurde 2006 sogar für den Deutschen Staatspreis für Design nominiert. Online-Bestellung unter schritt-macher.com

Point it: Hier spricht der Zeigefinger

Verstehen Sie Ketchua? Oder bloß Ketch-up? Und falls ja - Vokabel wie "Wattestäbchen" haben es selbst dann noch in sich. Dass Bilder weit mehr sagen als Kauderwelsch-Worte, beweist ein ganz besonderes Subgenre der Sprachführer - nämlich der auf Bilder reduzierte und dadurch überall auf Anhieb und unmissverständlich verifizierbare Jackentaschen-Dolmetsch. Gleich zwei solcher Produkte für Zeigefinger-Sprachakrobaten gestalten das Reisen in fremder Zungen Länder heute erstaunlich kommunikativ. Da wäre zunächst einmal der über Graf Editions (graf-editions.de) vertriebene Klassiker: nämlich der Point It® Pictionary, eine Art Memory für Reisende. 1200 nach Themen sortierte Bilder helfen beim Bestellen im Restaurant und auf der Suche nach dem nächsten Dentisten. Ebenfalls auf die Internationale der Bushaltestellen und Gemüsemärkte spezialisiert: der ähnlich konzipierte Sprach-Guide "Icoon" (icoon-book.com). Neben 400 Farbfotos von Lebensmitteln aus aller Welt liegt der Schwerpunkt dabei aber auf 2000 Symbolen, die in zwölf Kategorien geordnet sind. Neben realen Begrifflichkeiten wie Kleidung oder Unterkunft stehen dabei auch weniger verdinglichte Rubriken wie Hygiene oder - als Königsdisziplin der angepeilten Visualisierung - Behörden zur Auswahl. Falls man vor lauter Bildern die Umgebung nicht mehr sieht: Detaillierte Kontinentkarten geben im Falle des globalen Bildwörterbuchs Icoon Aufschluss über den Aufenthaltsort.

Himmel oder Hölle? Transzendent

Für den Fall, dass man schon überall war, stellt Christoph Schulte-Richtering im Frankfurter Eichborn-Verlag zwei ultimative Reisedestinationen vor: Himmel und Hölle. Triste Bettenburgen und exklusive Hideaways sind damit allerdings nicht gemeint, sondern Annäherungen an gleichermaßen oft zitierte wie eben auch ortlose Gegenden der ewigen Sehnsucht - oder Verdammnis. Mit erstaunlicher Sachkenntnis und Detailverliebtheit lotet der erste Reiseführer in die Ewigkeit Regionen aus, die man bislang bloß vom Hörensagen kannte: Anleitungen zum Baden in Nektarseen oder Kneippen in Jungbrunnen, wesentliche Tipps zu Walhall, Manna, aber auch Informatives über Raftingtouren in den Unterweltflüssen Styx und Acheron sind Teil der metaphysischen Safari. Exkurse zu Themen "In Teufels Küche" sowie ein kompakter "Sonderteil Fegefeuer" runden das unterhaltsame Werk ab. Interessant für Globetrotter: Womöglich verlässt der Autor die terra catholica und beschreibt auch Hotspots und Wolkenlandungen anderer Welt- oder Einzelreligionen.

Christoph Schulte-Richterling, Reise- führer Himmel & Hölle, Eichborn Verlag, ISBN 978-3-8218-4974-4

Louis Vuitton City Guide: Gediegen

Eine safranfarbene Robe hat sich Louis Vuitton für die aktuelle Ausgabe seiner mittlerweile legendären Feinspitz- Guides zugelegt. Wer dabei an die Farbe buddhistischer Entsagungs-Leere denkt, sollte besser zurück an den Lifestyle-Start. Richtiger tickt indessen, wer nicht "Das Große Fahrzeug Mahayana", sondern das Safrangelb der berühmten New Yorker Taxis vor sich sieht. Dem Big Apple ist denn auch ein eigener Band gewidmet - übrigens als einziger außereuropäischen Metropole. Denn Louis Vuitton gibt sich eurozentrisch - und nimmt 2008 als neu durchforstete Städte lieber Bilbao, Luxemburg, Nikosia, Reykjavík und Turin unter die Lupe. Wohin der König der eleganten Koffer seinen wahren Fokus richtet, ist indessen klar: natürlich auf das Feinste, das jede Stadt jeweils zu bieten hat - freilich nicht jedem Geldbeutel. Bedient und durchaus mit Kennermiene beäugt werden herausragende Restaurants, Bars, Boutique-Hotels, Mode- und Design-Shops ebenso wie lokale Museen und Galerien. Das Luxus-Konzentrat 30 europäischer Städte wird so in die aktuelle 2008-Sammelbox gepresst, die man übrigens nur in Luis-Vuitton-Läden erhält.
louisvuitton.com

Englisches Idyll: Charmant

Gegen den Strom schwimmen - das kann man am südenglischen Surferort St. Ives ganz gut. Auch die Hamburgerin Julia Kaufhold schwimmt in Falle von St. Ives entschlossen wider den Strom - indem sie gegen oberflächliche Turbulenzen und kosmopolitische Überflieger-Mentalität anarbeitet. Charmant nimmt sich ihre Strategie, ausgewählte, kleine Orte zum Thema einer selbst konzipierten Reiseführerserie zu machen, in jedem Fall aus. "St. Ives" und "Penzance" - beide in Cornwall gelegen - stehen dabei im Zentrum einer liebevollen Berichterstattung, die sich cosy & warm zwischen "less is more" und "slow travel"-Philosophien eingerichtet hat. Neben netter Illustrierung werden mitunter überraschende Facetten des kulturellen Lebens vorgestellt, aber auch praktische Tipps für den preisgünstigen Aufenthalt verraten.
goldfinchbooks.de

Wallpaper City Guide: Trendy

Längst bescherte uns das offizielle Nachrichtenorgan der Trendnasen-Internationale neben 1001 Lifestyle-Musts, ja, ein Adjektiv, das für Coolness und höhere Hip-Weihen steht: Very "wallpaper" lautet dieses. So war es denn auch nur eine Frage der Zeit, bis das Londoner Kultmagazin der Neunzigerjahre seine eigenen City-Guides lancierte - die neuerdings auch in deutscher Version verbreitet werden. Zwanzig Weltmetropolen-Guides sollen bis Ende des Jahres für forcierte Stilsicherheit auch jener Leserschaft sorgen, die hinsichtlich ihrer eigenen Englisch-kenntnisse leider ein wenig uncool unterwegs sind. Architektur- und Design-Liebhaber kommen dabei natürlich besonders auf ihre Kosten. Aber auch Möchtegern-Baristas und Fashion-Victims dürften mit den ausgewählten In-Adressen - und durchaus auch abseitigen Locations - am Laufen gehalten werden. Stadtplan, Ein-Tages-Tour, stylische Fotos, Ess- und Übernachtungstipps - so viel Zeit muss auch im Shopping-Rausch sein.
phaidon.de

(Robert Haidinger/DER STANDARD/RONDO/30.11.2007)