Es gibt Antworten, für die man gern die passenden Fragen wüsste. Auskünfte wie: "Das Zuhause ist eine außerökonomische Matrix" oder: "Die, die Liebe können, können auch noch etwas anderes", befriedigen ein drängendes Erkenntnisbedürfnis. Nur: wie war noch gleich die Frage? Gewiss, die "Familie ist nicht nur Mord und Totschlag, sie ist auch Kälte und Einsamkeit" - aber muss man sie deshalb gleich infrage stellen?

Wenden wir uns an René Pollesch, den deutschen Theatermann für solche Fälle. Er stellt in seinen stets eigenhändig inszenierten Bühnenwerken mit Lust, Witz und Penetranz jene ökonomischen Fragen, die das Theater gewöhnlich mit der keinen Einspruch duldenden Gravität einer Spruchkammer des Jüngsten Gerichts beantwortet. Er kennt nicht nur die Antworten, er kennt auch die Fragen.

In seiner jüngsten, auf der Studiobühne des Thalia Theaters präsentierten Arbeit Die Welt zu Gast bei reichen Eltern nimmt Pollesch Heim und Herd, Familie, Liebe und Ökonomie so genüsslich, unangestrengt und leichthändig auseinander, als hätte er sich mit einer ordentlichen Dosis Yasmina Reza gedopt.

"LOVE ME" bettelt eine bunte Leuchtschrift, und auf der Videowand darunter (Ausstattung: Janina Audick) wird Dringlichkeit dieses Hilferufs vor Augen geführt. Die reichen Eltern und ihre Nachwuchs-Vertragspartner können allerlei - nur mit der Liebe will es nicht so recht klappen. Für Marktteilnehmer, denen die demokratische Abstimmung darüber, wer die Mutter ist, ein zwingendes Desiderat liberalen Wirtschaftens bedeutet, steht das issue, ob die Familie Liebe und die Liebe Familie braucht, nicht mehr ganz oben auf der Agenda.

Mit massivem Souffleusenbeistand treibt Pollesch die im Spaßeinsatz sich komödiantisch verausgabenden fünf Thalia-Schauspieler permanent an die Memorier-Leistungsgrenze. Die freudianische "Mutter"-Anrufung, mit der sich Felix Knopp bei jedem Hänger an die sphinxenhaft lächelnde Flüsterlady wendet, hat durchaus das Zeug zum geflügelten Theaterwort.

Asoziales Handeln

Die ehebrecherische Mutter ist bekanntlich auch Hamlets Hänger. Wer nach dem Studium in der Fremde wieder zuhause bei Mama rumhängt, weil er glaubt, dort müsse er nicht produktiv sein, missachtet die Marktgesetze und handelt folglich asozial. Das Kinder-Großziehen findet zwar außerhalb der Ökonomie statt, das Resultat ist aber ein eminent ökonomisches, wie Kinderbetreuungs- und Rentenalterdebatten verdeutlichen.

Bleibt die Familie ein marktfähiges Modell? Sie hat den Sozialismus überlebt und wird, so der ironisch zuversichtliche Pollesch, wohl auch den Kapitalismus überstehen, obwohl Dreißigjährige, die sich erneut im Hotel Mama einquartieren, die Küchenordnung durcheinander bringen. Wenn alle Tassen aus dem Schrank gekippt und alle Toastscheiben verfeuert sind, bleibt immer noch das Eltern-Ehebett, um weich zu landen.

Weil das Wort Familienbande hier einen Beigeschmack von organisierter Kriminalität hat, klingelt zu Beginn der TV-Kommissar an der Haustür. Wie in jedem Krimi gibt es nämlich einen Toten. Doch wo vielleicht Derrick draufsteht, steckt womöglich Ganoven-Ede Zimmermann von "Aktenzeichen XY" drin, der fahndungshalber gleich mal zu Konrad Töns nach Zürich schaltet. Und dann weiter zu Peter Nidetzky in Wien. Einschlägige Familienbanden gibt's schließlich überall. (Oswald Demattia aus Hamburg /DER STANDARD, Printausgabe, 1./2.12.2007)