Zur Person
Christa Koenne (64) leitet die Pisa-Science-Gruppe Österreich und das Projekt „Prüfungskultur“ an der Uni Klagenfurt.

Foto: Standard/Hendrich
Standard: Die ersten Pisa-Ergebnisse sind schon da – und Österreich hat diesmal deutlich besser abgeschnitten. Wie werten Sie dieses Resultat?

Koenne: Dazu kann ich noch nichts sagen. Es gibt eine internationale Sperrfrist bis 4. Dezember, und die werde ich auch einhalten.

Standard: Allgemeiner gesprochen: Lässt die Pisa-Studie Rückschlüsse auf das österreichische Schulsystem zu?

Koenne: Es ist vernünftig zu schauen, wie jene Länder, die besser abschneiden, ihr Bildungssystem organisieren. Aber kausale Ableitungen kann man nicht treffen. Man kann nicht sagen, differenziertes oder gemeinsames Schulsystem, das ist die Lösung. Worum es geht ist eine Individualisierung, eine Förderung der jeweiligen Begabungen. Wenn wir das machen was man uns unterstellt, nämlich Schüler „beschämen“, sodass sie sich nicht wertvoll fühlen, dann entlassen wir sie nicht mit genug Selbstvertrauen. Diese Vorwürfe an unsere Arbeit in den Schulen kann man tatsächlich machen. Pisa ist der Anlass gewesen, in den skandinavischen Ländern nachzuschauen wie die es machen. Was man dort erfährt ist nicht nur, wie sie Schule organisieren, sondern auch wie sie miteinander umgehen, welche Schul- und Lernkultur es dort gibt. Und da kann man schon etwas lernen.

Standard: Warum wird dann Ihrer Meinung nach so ein Wirbel um Pisa gemacht?

Koenne: Es gibt eine Unzufriedenheit mit dem Bildungssystem, die sehr ernst ist. Pisa gibt Anlass, das zu äußern. Dass wir uns Gedanken machen müssen, wie wir die nächste Generation begleiten, ist eine ganz reale Aufgabe. Die Jugend wird nicht optimal auf ihre Zukunft vorbereitet.

Standard: Kann man Bildung tatsächlich messen?

Koenne: Eigentlich ist das eine ganz alte Diskussion. Die einen sagen, Bildung ist nicht teilbar, Bildung macht den ganzen Menschen aus. Andere sagen Ja, das stimmt zwar, aber es geht auch um Wissen, um Können, also messen wir, was man messen kann. Schüler werden ja auch geprüft, die bekommen Noten und handeln sich dabei bedeutende Konsequenzen für ihr Leben ein. Ich bin restlos davon überzeugt, dass Pisa mit Beispielen prüft, die deutlich besser sind als das, was ich als Prüfungsaufgaben in den Schulen erlebe.

Standard: Bedient Pisa nicht auch einen gewissen Ranking-Fetischismus?

Koenne: Ja, wie alles was man misst. Alle Zahlen vereinfachen die Realität. Wenn wir in einer Schulklasse Noten geben, machen wir auch ein Ranking. Wenn das nicht gut wäre, dann bitte, lassen wir es auch bei den Schülern weg. Man kann alles verbessern, Pisa ist nicht das Maß aller Dinge. Aber von allen Untersuchungen, ist Pisa immer noch die Intelligenteste.

Standard: Was kann man also aus Pisa ablesen?

Koenne: Es gibt schon Ergebnisse, die hellhörig machen. Zum Beispiel die Tatsache, dass wir Schüler aus der Schule entlassen, die nicht einmal die Grundfertigkeiten haben. Es ist eine Herausforderung an das Bildungswesen zu erforschen, was würden die brauchen, damit sie nicht potenzielle Arbeitslose und vielleicht Außenseiter in der Gesellschaft werden. Vieles wird aus Pisa herausgelesen, was nicht drinnensteht. Pisa wird immer benützt. Alle sagen dann dem Schulsystem, was sie ihm immer schon sagen wollten. Man muss die Ergebnisse aber interpretieren, und das braucht viel Zeit. Wir haben beim letzten Mal festgestellt, dass es unseren Schülern offensichtlich besonders schwer fällt, zu argumentieren. Das kann man nicht aus dem Ranking herauslesen, sondern da muss man sich wirklich anschauen, was die Schüler geantwortet haben.

Standard: Kritiker bemängeln, die Studie wäre nicht repräsentativ und würde die falschen Fertigkeiten messen.

Koenne: Ja, das kann man so sehen. Und dass es bei Bildung auch um etwas anderes geht, das nicht messbar ist – darauf können wir uns sofort einigen. Aber wenn wir meinen, dass es niemals um Messbares geht, dann bitte prüfen wir auch die Schüler nicht. Man muss sich die Aufgaben anschauen. Die Beispiele werden in einem sehr aufwändigen Verfahren konstruiert. Wenn ich einen Chemie-Test für meine Schüler geschrieben habe, dann war ich in einer halben Stunde fertig. An einem Pisa-Beispiel sitzt man tagelang. Da steckt schon sehr viel mehr Kompetenzabfrage dahinter, was auch viel mehr mehr dem nahekommt, von dem Kritiker sagen, es sei nicht prüfbar. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.12.2007)