Bild nicht mehr verfügbar.

Immer mehr Chinesen können sich, wie dieser Pekinger Student, über ein Hochschuldiplom freuen. Das schlägt sich im ökonomischen wie im elitären Wert der Bildung nieder.

F.: Reuters/Lee
Wien - Es wächst und wächst und wächst ... Das Hochschulsystem Chinas zählte Anfang der 80er-Jahre 1,144.000 Studenten. Schon 2005 hatte sich diese Zahl auf 15,618.000 aufgeblasen - Tendenz steigend.

Dies geschehe ganz bewusst, sagt Susanne Weigelin-Schwiedrzik. Die chinesische Regierung will die bisher geringen Studierendenzahlen heben. "Das Fernziel ist, 50 Prozent jedes Jahrgangs an die Uni zu holen", berichtet die Leiterin des Sinologieinstituts der Uni Wien.

Auch der Harvard-Sinologe William C. Kirby betonte bei seinem Vortrag an der Uni Wien im November 2007 dieses Wachstum, und sprach vom "dynamischsten Hochschulsystem der Welt".

"In China leben 650 Millionen Menschen am Land. Das wachsende Unisystem kann auf ein riesiges Mehr zurückgreifen", umreißt Weigelin-Schwiedrzik das Potenzial, das diese Dynamik speist.

Es werde an dem traditionellen Ideal - "Bildung als moralische Selbstvervollkommnung" - festgehalten, sie gelte als "Eintrittsticket zur Macht". Aktuell sieht die Sinologin den Trend zur Öffnung der Unis von einem "reinen Elitensystem zu einem Massenausbildungssystem". Junge Chinesen würden auf die Frage nach dem Wert der Bildung deshalb sagen, dass sie "von Generation zu Generation ökonomisch weniger wert" sei, meint sie - aber Bildung habe noch große symbolische Bedeutung.

"Vor 20 Jahren brachte es wirklich Prestige, wenn jemand in der Familie studierte", bestätigt Xi Ding. Heute sei die Situation verändert, da mehr Schüler einen Zugang zur Hochschulbildung hätten. Bevor Ding sein Physikstudium in Wien begann, belegte er Mechatronik in Schanghai. Als größten Unterschied zum Studium in China nennt er die "Idee" der Uni. "In China ist Bildung etwas Elitäres, hier ist sie für jeden frei."

Auch könne man in Österreich seine Zeit frei gestalten, im Studium pausieren oder nebenbei arbeiten. In China gehe das nicht, "es ist sehr verschult", sagt Ding und zieht Parallelen zu den österreichischen Fachhochschulen.

Studentenselbstmorde

"Wenn jemand seine Vorlesungen nicht besucht, meldet sich die Universität beim Elternhaus", berichtet Gerd Kaminski, Leiter der Österreichisch-chinesischen Gesellschaft. Es gäbe so praktisch kein Drop-out, aber eine hohe Studentenselbstmordrate, erzählt er vom "extremen Leistungsdruck".

"Es ist noch immer sehr wichtig, auf welche Universität man geht", erklärt Xi Ding. In zahlreichen Rankings werden die Hochschulen klassifiziert. Nur mit der höchsten Punktezahl bei der Universitätseintrittsprüfung - die zusätzlich zur Matura und landesweit einheitlich ist - könne man die beste Hochschule besuchen.

"Will man sein Kind auf einer Elite-Uni sehen, hat es den Elitekindergarten, die Elitevolksschule und die Elitemittelschule - jeweils mit Aufnahmeprüfungen - zu absolvieren", meint Kaminski dazu.

Die Universitätseintrittsprüfungen seien nach wie vor beinhart. Eine Lockerung und Öffnung sieht Kaminski nicht.

Weigelin-Schwiedrzik erkennt diese, aber nur an "nicht so hoch gerankten Unis". Sie seien dazu angehalten die Standards zu senken und mehr Studierende aufzunehmen.

"Die Qualität einer Uni ist an ihrer Finanzquelle ablesbar", informiert sie über die Strukturen des Rankings. An Rankings orientiert, werden die besten Unis vom Zentralstaat ("Schwerpunktuniversitäten"), die anderen von Städten oder Provinzen finanziert. Der Staat zahlt jeweils nur ein Drittel: "Finanziell sind die Unis recht autonom, nicht aber personell", meint sie. Was die Leitungsstrukturen betreffe, versuche der Staat politisch einzugreifen.

Zusätzlich zu jedem Studium sei verpflichtend "ein politisch-moralisch ausgerichtetes Begleitstudium" zu absolvieren. Die Politik der Kommunistischen Partei stehe heute dabei weniger im Vordergrund, dafür chinesische Geschichte und internationale Politik und Wirtschaft. "Jede Dienststelle in China, so auch jede Universitätsfakultät, hat einen eigenen Parteisekretär", erklärt Kaminski. Im Vergleich zu früher halte sich die Partei aber aus dem "eher westlichen Lehrbetrieb" zurück. "Kulturrevolutionäre Zeiten sind lange vorbei." (Julia Grillmayr/DER STANDARD Printausgabe, 11. Dezember 2007)