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John Neumeier

Foto: AP /Winfried Rothermel

Wien – Mit einem "Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage" beginnt und endet das nun im Theater an der Wien uraufgeführte Ballettwerk "Weihnachtsoratorium" des Hamburger Neoklassikers John Neumeier. Butterweich ist sein Tanz auf Johann Sebastian Bachs namensgebendes Musikbrot – die Teile I bis III– von 1734 gestrichen, das von den Wiener Symphonikern und dem Arnold Schoenberg Chor hingebungsvoll herausgebacken wird.

Sprachlich enthält Bachs Kantatenwerk durchaus Härten. Da bewährt sich der Tenor Christoph Prégardien als stimmlicher Stuntman unter den Gesangssolisten, wenn er sich wacker durch Zeilen wie "auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger" schwingt. Der Chor hält Reime wie "Ach mein herzliebes Jesulein / Mach dir ein rein sanft Bettelein" dagegen und legt mit Würfen à la "Da Speise vormals sucht ein Rind / Da ruhet itzt der Jungfrau’n Kind" noch manches drauf. Der Inhalt dieser Dichtung gewinnt angesichts der aktuellen vorweihnachtlichen Neigung in unserer Gesellschaft, Kinder totzumachen, beinahe schon politische Kraft. Im üppigen Bettelein einer Hochkultur, die traditionell dazu neigt, allerlei Mumpitz zur Errungenschaft hochzustilisieren, huldigt der Choreograf dem Traum von der ganz großen Mediokrität. In diesem Schlaf zwischen Besinnlich- und Besinnungslosigkeit siedeln seine Entwürfe von chorischem Juchzen und solistischem Schluchzen, fein kostümiert und einfallsfrei inszeniert.

Die aschfarbenen Mäntelchen und leeren Koffer hat Neumeier vom Wiener Vorjahresbesuch ins Bach’sche "Itzt" übersiedelt. Wobei das Weihnachtsgepäck nun in marienhaftem Weiß strahlt und so hervorragend zu dem unschuldigen einkerzigen Christbaumbaby passt, das von einem depressiven Besinnlichkeitsmann zwischen Bühnenzentrum und -peripherie hin- und hergetragen wird. Der hochdekorierte Künstler ist eine Symbolfigur für die konservative Konjunktur, die den Tanz zurzeit unterminiert. Zwischen John Neumeier, Sasha Waltz und einer neuerdings romantisierenden Meg Stuart öffnen sich Freiräume für ein neues Biedermeier. In das entstehende Vakuum drängt Füllmaterial. (Helmut Ploebst / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.12.2007)