Thomas Langhoff (li.) instruiert einen Feldherrn (Gert Voss als Titelheld Wallenstein), der sich für die Königswürde reif dünkt – und stattdessen in einen Abgrund fällt.

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Standard: Es existiert scheinbar ein echtes Bedürfnis, Schillers "Wallenstein" wieder den Lesebüchern zu entreißen. Was mutet an dem Stoff modern an? Dem Kriegsmanager Wallenstein wird in der Trilogie vermeintlich ein Zeitfenster geöffnet: Er glaubt, handlungsmächtig zu sein, obwohl doch mit dem Auftauchen des kaiserlichen Sendboten Questenberg sein Schicksal in Wahrheit längst besiegelt ist. Der Rest ist Realpolitik. Ergeht es uns nicht ähnlich? Uns wird eingetrichtert, wir wären "Herren unserer selbst". Aber sind wir denn jemals handlungsmächtig?

Thomas Langhoff: Ich stimme dem hundertprozentig zu – es handelt sich um jenen Ansatz, der mich überhaupt zu diesem Stoff geführt hat. Vorbereitungen für eine Wallenstein-Inszenierung hatte ich ja ursprünglich in München getroffen, für das Residenztheater.

Das Stück hat auf mich immer magnetisch gewirkt: Es handelt sich um eines der ganz großen Dramen der deutschen Literatur. Es reicht bis hin zu Büchner – und weit hinein in die literarische Moderne, hinauf zu Kafka. Wallenstein ist ein "moderner" Typus. Er gerät hinein in ein Räderwerk und ähnelt einem Manager, der auf einer Konferenz sagt: "Wir müssen etwas fürs Klima tun!" Wird nie funktionieren. Politiker glauben, Optionen zu haben; sie haben nur überhaupt keine, weil sie plötzlich merken: Da gibt es nichts mehr, was sie beeinflussen und regeln könnten. Wallensteins Ohnmacht – er hat als Charismatiker womöglich auch mit seinen Optionen zu lange gespielt ...

Standard: Die Ohnmacht resultiert aus seiner Hybris? Er glaubt an Vorbestimmung und liest in den Sternen – zugleich meint er, dem Schicksal ein Schnippchen schlagen zu können. Er streckt den Verhältnissen sozusagen die Zunge heraus.

Langhoff: Das erinnert doch an den rumänischen Diktator Ceauºescu. Der glaubte anno 1989 wirklich, er spreche noch zu "seinem" Volk, während hinter seinem Rücken bereits randaliert wurde und sich die Aufmüpfigen sammelten. Er bekam gar nicht mit, was geschieht: Er litt an absolutem Realitätsverlust ... Da musste ein alter Mann an seine Seite treten und ihm ins Ohr flüstern, dass es unwiderruflich vorbei sei.

Meine Sache ist freilich nicht so sehr die Theorie, sondern die luxuriöse Aufgabe, das Gemeinte auch auf der Bühne zu zeigen.

Standard: Peter Steins Berliner Monumentalunternehmung ohne Striche, die heuer im Frühjahr startete und rund zehn Stunden in Anspruch nahm, erinnerte doch ihrerseits an einen Feldzug, oder? Eine oberflächliche Beobachtung: Stein, der im Festzelt zwischen seinen Charlottenburger Gönnern frohgemut herumging, weckte die Assoziation zu einem Stabsplaner – er glich mit seiner Nickelbrille einem wilhelminischen Generalstäbler wie Moltke oder Schlieffen. Langhoff: Ja, ein Generalstabsplaner, der zugleich aber auch Oberstudienrat gewesen ist, ehe er zum Militär ging! Standard: Man muss eine Aufführung von "Wallenstein" also regelrecht wie einen Feldzug planen?

Langhoff: Jedes Drama der Weltliteratur! Ich habe freilich immer die These vertreten, dass Wallenstein das größte Kammerspiel der Weltliteratur sei: Wenn man genau hinsieht, werden zwar große historische Aktionen beschrieben – aber auf der Bühne sehen Sie, vom "Lager" abgesehen, das so bei uns nicht vorkommt, das Zusammenspiel weniger Personen in den Hinterzimmern der Macht.

Diesen merkwürdigen Zwittercharakter müssen Sie wahren: Es wird ein riesiges Panorama aufgerollt – zugleich entbehren Sie komplett die Haupt- und Staatsaktion.

Standard: Besitzen wir also mit der "Wallenstein"-Trilogie, die in Ihrer Spielfassung für das Burgtheater gut vier Stunden umfasst, ein echtes Zeugnis der "deutschen Misere"? Selbst das Genie Schiller kann sich Öffentlichkeit nicht anders vorstellen denn als Geheimpolitik in Hinterzimmern ...

Langhoff: Heiner Müller, der diesen Gedanken hatte, hat übrigens selbst eine Strichfassung des Wallenstein hergestellt – für das Schillertheater im damaligen Westberlin, für Boy Gobert. Müller war kein Schiller-Fan, aber das Geschichtsdrama interessierte ihn natürlich brennend.

Wir ziehen heute das wunderbare Wallenstein-Buch von Alexander Döblin heran. Ich las den Schauspielern kommentarlos daraus vor. Diese Expressivität der Sprache fungiert aber natürlich nur als Sekundärliteratur – das Primäre ist noch immer das Theater. Die Geschichtslektion steht nicht im Vordergrund – die wollte letztlich ja auch Schiller nicht. Er variiert seine Themen und Kenntnisse, er war ja schließlich auch Historiker und Spezialist in den Sachen des Dreißigjährigen Krieges. Das Stück spielt dann immerhin binnen dreier Tage – und Wallenstein hat von Anfang an so gut wie keine Chance. Ein "König Ohneland", der noch einmal Zuversicht schöpft. Wie ich auch bei sterbenden Menschen bemerkt habe, dass sie Euphorien entwickeln und darüber fantasieren, wo sie nächstes Jahr ihren Urlaub verbringen werden.

Der Spieler wird zu einem solchen Euphoriker. Wie ja Sterbende auch schön werden – das sind Phänomene, die ich auf der Bühne erkunden möchte.

(Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 18.12.2007)