Absurdes Verhalten: Boris Charmatz (li.), Nuno Bizarro und Latifa Laâbissi.

Foto: Poupeney
Wien – Er ist einer der kontroversiellen Künstler der französischen Gegenwartschoreografie und dazu einer ihrer bedeutendsten. Boris Charmatz verhält sich in seinem Zugang zum Tanz stets unangepasst. Seine jüngste Arbeit Quintet Circle , die noch bis morgen im Tanzquartier Wien zu sehen ist, macht da keine Ausnahme.

Im Bühnenhintergrund ein kleiner, verspiegelter Raum. Davor spielt das ensemble online vienna, über dessen drei Köpfen bedrohlich ein mit Scheinwerfern bestücktes Gerüst aus Metallstangen hängt. Ähnlich damokletisch wirkt die messerscharfe Musik der russischen Komponistin Galina Ustwolskaya: schrille Flöte, aggressives Klavier und raumgreifend die Tuba. Das Trio ist in modernistisches Schwarz gekleidet. Die fünf Tänzer, die nach Ende des Klangwerks auftreten, tragen hellblaue Körperstrümpfe wie aus den Schränken des Modern Dance von einst.

Das Quintett ruiniert die Kontemplation der strengen Bühnenarchitektur sofort. Sein absurdes Verhalten ist genau geplant – und es bezieht sich auf eine frühere Arbeit Charmatz’: die Performance héâtre-élévision, die von nur jeweils einer Person besucht werden kann, die, auf einem Klavier-Dummy liegend, ein Video sieht, in dem "moderne" Tänzer sich mit den Ausuferungen ihrer Leiber vergnügen und quälen.

Nun lässt Charmatz abermals Moderne und Postmoderne aufeinander los. Als sich das Gerüst senkt, scheinen die Tänzer gefangen. Sie positionieren sich im Kreis um eine nackte Glühlampe (ein Mikrofon-Dummy) und beschäftigen sich vokal mit Ustvolskayas Komposition: zerlegen sie, variieren über sie, spielen über sie hinaus.

Gnadenlos verwirft das Quintett, darunter – mit Latifa Laâbissi, Nuno Bizarro und Charmatz selbst – die zeitweilige Wahlösterreicherin Anna MacRae, die Gegensätzlichkeit der beiden großen Strömungen. Aus der dabei entstehenden Groteske entsteht ein heiter-unheimliches Geschehen, das den Tänzern die Zungen aus den Mündern treibt. Wie schon so oft hat Charmatz auch hier ein Monster choreografiert, das auf brillante Art verunsichert und stört. (ploe, DER STANDARD/Printausgabe, 19./20.01.2008)