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Spätestens nach der ersten Prüfung entwickeln die Studierenden ihre eigenen Lernmethoden.

Foto: AP Photo/Fabian Bimmer

"Frauen fühlen sich unsicherer als Männer." So begründet Oskar Frischenschlager das Ergebnis seiner Studie. Dieses lautet, dass männliche Studenten an der Med-Uni-Wien bei der summativ-integrativen Prüfung "SIP 1" im Vorteil sind. Sie würden strategischer lernen und hätten deshalb auch die besseren Prüfungsergebnisse, heißt es (derStandard.at berichtete). Bereits ab der ersten Wiederholungsprüfung der SIP 1 würden Studentinnen aber den Vorsprung ihrer männlichen Kollegen wettmachen, entgegnet die Med-Uni. Die Differenz im Studienerfolg sieht man in der unterschiedlichen schulischen Vorbildung begründet. Ein Medizinstudent verriet derStandard.at, welche Lernstrategien er entwickelt hat, um durchzukommen.

"SIP 1 ist die erste und letzte Multiple-Choice-Prüfung, für die ich richtig gelernt habe", erzählt Manfred*, Student an der Medizinischen Universität Wien, im Gespräch mit derStandard.at. Für die weiteren Großprüfungen habe er sich eine andere Lernstrategie zurecht gelegt: "Ich besuche die Vorlesungen und schaue mir die Fragebögen von vergangenen Prüfungen an, zum großen Teil wiederholen sich die Fragen. Diese lerne ich einfach auswendig", erklärt Manfred, der noch zirka zwei Jahre studieren wird.

Aus den Fragebögen vergangener Prüfungen – diese werden in diversen Studenten-Onlineportalen veröffentlich – zieht der Student Rückschlüsse darauf, welche Passagen aus den Skripten abgefragt werden. Aus den Lernunterlagen lernt er nur die entsprechenden Seiten. "Manchmal lerne ich auch nur ein paar Sätze auswendig," sagt Manfred. Mit seiner Strategie könne man ein Genügend und manchmal auch einen Dreier bekommen. Wer bessere Noten will, müsse mehr lernen. Manfred: "Bis jetzt habe ich so jedenfalls alle Prüfungen geschafft."

"Wer zu sorgfältig lernt, ist verloren"

"Wer für die SIP sorgfältig lernt, ist angesichts der großen Menge des Lernstoffs verloren", sagt Oskar Frischenschlager, Professor am Institut für Medizinische Psychologie der Med-Uni Wien und Mitautor der genannten Studie. Im Zuge der Untersuchung seinen zahlreiche Interviews mit weiblichen und mit männlichen Studenten geführt worden. "Es hat sich gezeigt, dass sich Frauen unsicherer fühlen und daher anders lernen. Das ist ein Grund dafür, weshalb sie sich viel intensiver auf die Prüfung vorbereiten. Burschen haben diese Unsicherheit nicht – sie fragen sich: Wie tickt die SIP und gehen an die Sache pragmatischer heran", so Frischenschlager.

Manfred bezweifelt jedenfalls, dass bei seiner Lernstrategie viel Wissen hängen bleibt. Vielmehr setzt er auf Praktika und mündliche Prüfungen, die noch im Rahmen von Seminaren durchgeführt werden. "Besonders beliebt ist beispielsweise das Pharmakologie-Seminar. Da fragen die Professoren noch Zusammenhänge und Hintergründe ab und man hat auch das Gefühl, dass man dabei wirklich etwas lernt", sagt Manfred.

"Internationale Standards"

"Unsere Multiple-Choice-Tests sind internationalen Standards angepasst. Es handelt sich nicht um eine Ansammlung willkürlicher Fragen, diese werden vielmehr in inhaltlichen Zusammenhängen gestellt", erklärt Bernd Matouschek, Pressesprecher der Medizinischen Universität Wien. Das Studium bestünde nicht nur aus Multiple-Choice-Tests, es werde auch praxisnah, integrativ und in Kleingruppen gelernt. "Unsere StudentInnen sind mit dem neuen Studienplan sehr glücklich", versichert Matouschek. Die schriftlichen Großprüfungen bezeichnet er als "ein Format, das objektiv und fair" ist.

Auswendiglernen

"Die Modalitäten bei den Multiple-Choice-Tests verleiten Studierende dazu, Prüfungsfragen, so weit sie zur Verfügung stehen, auswendig zu lernen. Ich würde es genauso machen, denn das Ziel einer Prüfung ist, diese zu bestehen", sagt Gerhard Kraft im Gespräch mit derStandard.at. Kraft hat das Studium noch im alten Studienplan abgeschlossen. Ein Großteil der Prüfungen wurde damals noch mündlich abgenommen. Das neue Multiple-Choice-System findet er "gar nicht gut". Bei einer mündlichen Prüfung könne abgefragt werden, ob jemand die Zusammenhänge versteht. "Einen Multiple-Choice-Test kann man jedoch auch bestehen, wenn man nicht viel Ahnung von diesem Gebiet hat", vermutet Kraft.

Es stellt sich die Frage, ob Studierende, die Multiple-Choice-Tests absolvieren, über ein anderes Wissen verfügen, als Studierende, die mündlich geprüft wurden. "Wenn man Antworten auf einen Multiple-Choice-Test ankreuzt, wird das Wissen anders gespeichert als wenn man ganze Sätze im Rahmen einer mündlichen Prüfung formulieren muss", glaubt Frischenschlager. Zu diesem Thema werde an der Med-Uni derzeit eine Diplomarbeit verfasst.

Ungleichheit in Graz nicht gegeben

Die Studienleistung von Frauen und Männern, die an der Med-Uni Graz Humanmedizin studieren, sei nicht signifikant unterschiedlich – sowohl vor als auch nach Einführung des Auswahlverfahrens, heißt es übrigens in einer Aussendung der Grazer Med-Uni. "Eine Erklärung für uns liegt im Modulsystem, das die komplexen und enorm umfangreichen Themenbereiche in kleinere, überschaubare Stoffpakete unterteilt, die nicht in einer Jahresprüfung, sondern jeweils für sich geprüft werden", teilt Gilbert Reibnegger, Vizerektor für Lehre, in einer Aussendung mit. (burg/derStandard.at, 8. Feber 2008)