Wien - In einem Interview mit der Austria Presse Agentur sprach Roland Geyer, Intendant des Theater an der Wien, über Zukunftspläne und die aktuelle Lage des Hauses. In den kommenden Jahren wird es neben Barockopern und Zeitgenossen (Geyer hat Kompositionsaufträge an Johannes Kalitzke und Lera Auerbach vergeben) auch eine Ausweitung des Programms "in alle Bereiche" geben, "auch das 19. Jahrhundert ist für mich nicht tabu." Dabei wird an Rossini ebenso gedacht wie an Carl Maria von Weber.

"2007 war unser zweites Jahr, das erste nach Mozart. Wir hatten zwar viele Höhepunkte, haben nach dem Mozart-Hype aber auch gemerkt, dass alle eine Verschnaufpause gebraucht haben", sagte Geyer. "Wir haben auf Saison umgestellt, weil wir gesehen haben: In Wien gegen den Strom zu schwimmen ist zwar keck, doch gegen die eingefahrenen Verhaltensmuster kommt man nicht an. Also mussten wir einen Neustart machen." Vor allem die Abonnenten seien ihre klassische Theater-Saison gewohnt.

Zusammenarbeit mit Harnoncourt und Jacobs wird weitergeführt

Es wird auch weiterhin Barockopern im Theater an der Wien geben. Hier hatte Dominique Meyer mit der Ankündigung aufhorchen lassen, künftig möglicherweise auch Barockopern in der Staatsoper spielen zu wollen. "Das sehe ich ganz entspannt. Ich habe eine sehr gute Gesprächsbasis mit Meyer. Und wir sind auf dem Barocksektor der Platzhirsch, wir sind das beste Haus für Barockoper. Die braucht eine trockene Akustik und eine Intimität. Beides kann die Staatsoper nicht bieten."

Daher wird nicht nur die Zusammenarbeit mit Spezialisten wie Nikolaus Harnoncourt und René Jacobs weitergeführt, sondern auch mit dem Dirigenten und Cembalisten Christophe Rousset, der in Paris, Brüssel und Amsterdam mit seinem Ensemble große Erfolge feiert, wird es eine intensive Kooperation geben. "Harnoncourt ist für unser Haus die Galionsfigur. Gemeinsam mit Martin Kusej setzt er bei uns mit 'Rakes Progress' auch einen der stärksten Akzente der nächsten Saison im Bereich der Meisterwerke des 20. Jahrhunderts."

Das 20. Jahrhundert und die zeitgenössische Musik soll eines der Standbeine des Hauses bleiben. Um die Vorreiterrolle dabei zu unterstreichen hat Geyer zwei Kompositionsaufträge vergeben: Von Johannes Kalitzke soll in der Saison 2009/10 eine Oper über Witold Gombrowicz' "Die Besessenen" uraufgeführt werden, die junge russisch-amerikanische Komponistin Lera Auerbach, von der 2006 ihre "Dialogues on Stabat Mater" beim Osterklang zu hören war, bereitet für 2010/11 ihre erste große Oper vor. Sie soll um den Autor Gogol kreisen.

Geyer wird sich künftig auch Werken des 19. Jahrhunderts widmen. "So wird nächste oder übernächste Saison sicher Rossini kommen und einen Schwerpunkt bilden. 1820-25 war er häufig im Theater an der Wien, viele seiner Werke sind hier gezeigt worden. Und auch Carl Maria von Weber hat hier gearbeitet. Er ist ein idealer Komponist für dieses Haus." In Erwägung stehen Opern wie "Der Freischütz", "Oberon" oder "Euryanthe".

Tanz und Satie während der EURO

Mit den Wiener Festwochen gibt es eine neue Form der Zusammenarbeit, 2008 bis 2010 werden sie je 40 Tage im Theater an der Wien sein. Während der EURO wird es ein Tanz-Special mit Anne-Teresa de Keersmaeker geben ("Das riskieren wir"), und das Kabinetttheater wurde beauftragt ein Projekt unter dem Titel "EUR O.PER 2008" zu Musik u.a. von Eric Satie zu kreieren. "Wir haben aber bewusst keine Vorstellungen an Tagen, an denen in Wien Fußball gespielt wird. Ich glaube, es wird sich ein Medien-Hype über alles legen, in dem man andere Dinge kaum wahrnehmen wird. Sollte Österreich zu Beginn gewinnen, wird sich das noch potenzieren."

Das Festival "Osterklang" wird ebenso weitergeführt wie die Schiene "Operimsommer", die seit dem Vorjahr den "Klangbogen" ersetzt. Intensiviert wird die bei "Dead Man Walking" begonnene interdisziplinäre Jugendarbeit, die nun bei "Medea" fortgesetzt wird und mit der künftig zwei bis drei Opernproduktionen im Jahr begleitet werden sollen.

Gegenüber dem kommenden neuen Geschäftsführer Thomas Drozda hat Geyer "sehr positive Erwartungen" und erhofft sich auch große Unterstützung im Bereich Marketing, Abo-Verkauf und Sponsoren. Die Stadt erwartet sich von ihm effektives Kosten- und Ertragsmanagement und Roland Geyer ist beim Gedanken an kommende Effizienzprüfungen nicht bange: "Wir mussten die auf Musical-Betrieb eingerichtete Organisationsstruktur zu drei Viertel verändern und haben auch für die Kosteneffizienz etliches gemacht. Auch der seit 2007 geltende neue Kollektivvertrag mit Jahresdurchrechnung hat viel Geld eingespart."

Derzeit erhält das Theater an der Wien jährlich 21,6 Mio. Euro von der Stadt Wien. "Eine Evaluierung steht in diesem Jahr an. Abgesehen davon, dass natürlich jeder Intendant gerne mehr Geld hätte, liegen wir gut im Plan. Ich habe im Moment an den Subventionsgeber keinen dringenden Wunsch nach Erhöhung."

93 Prozent Auslastung

Im Theater an der Wien verzeichnete man im Jahr 2007 mit 76.000 Besuchern der eigenen Oper- und Konzertabende einen leichten Rückgang um 1.500 Zuschauer gegenüber dem ersten Jahr der Opernbespielung, die durchschnittliche Auslastung der laufenden Opernsaison 2007/08 beträgt (inklusive der "Karmeliterinnen") 93,33 Prozent.

Die 2006er-Besucherzahlen, bei denen bei Eigenproduktionen, Festwochen-Aufführungen, Sonderveranstaltungen und Vermietungen 101.500 Zuschauer im alten, neuen Opernhaus gezählt wurden, verfehlte man 2007 um rund 10.000 Besucher (eine genaue Bilanz ist noch in Arbeit), doch mit der Entwicklung des Jahres, das mit 75 Prozent Auslastung bei "A Streetcar Named Desire" und 83 Prozent bei Händels "Giulio Cesare in Egitto" schwächer begann und auf 97 Prozent beim Mariinsky-Gastspiel, 96 bei "Orlando", 98 beim "Weihnachtsoratorium" und 94 bei Poulencs "Karmeliterinnen" zulegen konnte, ist der Intendant zufrieden.

Vor allem die "Dialogues des Carmélites" sind für Geyer ein Erfolgsbeispiel: "Ich bin begeistert, wie sehr das Wiener Publikum diese Produktion angenommen hat. Vor der Premiere waren wir noch nicht ausverkauft, aber die Mundpropaganda und die tollen Kritiken haben dafür gesorgt, dass die folgenden Vorstellungen ausverkauft waren. Wir hätten sicher noch zwei weitere Aufführungen voll bekommen, aber keine zehn weiteren." Deshalb geht Geyer noch stärker auf Abonnenten-Suche: "Das einzige, wo ich wirklich unzufrieden bin, ist der Abo-Sektor. Wir haben bei Null begonnen und halten jetzt bei 1.000 Abos. Aber das ist keine Grundlage, von der aus man versuchen kann, die Aufführungsserien von fünf bis sechs auf neun bis zehn zu verlängern. Dazu brauchen wir 4.000 bis 5.000 Abonnenten. Und dafür wird es im Frühjahr auch eine große Imagekampagne geben."

Bekanntheitsgrad gut

Laut einer IFES-Studie von November ist 94 Prozent der Wiener das Theater an der Wien als wichtige Kulturinstitution ein Begriff, aber nur 25 Prozent kennen es als Opernhaus. "Das ist schon etwas, aber es zeigt auch, dass wir weiterarbeiten müssen." In den nächsten zwei Jahren soll der Bekanntheitsgrad auf zumindest 50 Prozent gesteigert werden. Und Geyer ist überzeugt: "Ein größerer Bekanntheitsgrad bedeutet auch höhere Abo-Zahlen."

Jene, die bereits Besucher des Theaters an der Wien sind, seien zufrieden, glaubt der Intendant: "Jemand hat mir gesagt: Sie zeigen so viele Produktionen, dass man sich gar nicht alles ansehen kann. Für mich ist das ein Kompliment. Es stimmt: Wir bieten eine Menge an, und so wird es auch weitergehen", versichert Geyer, der "bei den Planungen mitten im Jahr 2009 ist" und auch die fernere Zukunft schon Gestalt annehmen lässt: "Heute früh habe ich mit Leuten telefoniert, wo es um 2012/13 gegangen ist." (APA)