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Herbert von Karajan: Wollte die Festspiele an Wagner binden.

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Herbert von Karajan, immer gut für Effekte, zog vor 41Jahren, als er als stolzer Chef der von ihm gegründeten Osterfestspiele seine erste Pressekonferenz gab, an deren Schluss mit dem Hinweis, das sei ihm als Honorar geblieben, eine 20-Schilling-Note aus der Tasche.

Der ehrgeizige Maestro, der als Staatsoperndirektor mit der hiesigen Kulturpolitik – wie viele andere auch – die schlimmsten Erfahrungen machen musste, hatte seine Osterfestspiele in den ersten Jahren nämlich ganz ohne Subventionen finanziert. Dafür durfte ihm bei Spielplangestaltung, Besetzung, beim Ausmaß der Proben, das er für notwendig erachtete, kein Mensch dreinreden. Er hat sich seinen Traum verwirklicht und war Theaterdirektor, Dirigent und Regisseur in Personalunion. Wie es einst Wagner in Bayreuth war. Und tatsächlich sollte nach Karajans ursprünglichen Vorstellungen Salzburg ja ein österreichisches Bayreuth werden. Doch im Unterschied zu Wagner hat er (wie erwähnt) für seine Tätigkeit kein Honorar verlangt. Von wem auch? Er hätte seine Forderungen nur an sich selbst stellen können.

Nach Karajans Tod hat sich das schlagartig geändert. Irgendwie hat da eine Automatik eingesetzt, die den jeweiligen Chef der Berliner Philharmoniker, der Karajan ja selbst auch war, auch zum Prinzipal der Osterfestspiele machte. Und dies freilich nicht um Gottes Lohn. Was jedoch für Karajan ein Anliegen war, musste keines für Claudio Abbado sein, der mit der Gründung des Festivals Wien Modern ja zeigte, dass seine Interessen woanders hingingen, als aus Salzburg Bayreuth zu machen. Was Wunder, wenn von dieser Gründungsidee nichts mehr übriggeblieben ist und sich auch Simon Rattle, der gegenwärtig als Chef der Berliner Philharmoniker in die Position des Festspielchefs geschlittert ist, wenig geeignet erweist, Karajans Position zu supplieren. So kam es, dass es jetzt schon Supplenten des Supplenten gibt.

So wie in den Orchesterkonzerten der beiden vergangenen Tage, bei deren ersten Seiji Ozawa gewissermaßen Rattle supplierte, der sich erst am zweiten Abend mit einer großbürgerlich festlichen Aufführung von Haydns Schöpfung im Kreis hochrangiger Solisten wie Genia Kühmeier, Michael Schade und Thomas Quasthoff zu Recht sehr ausgiebig feiern ließ. Das war aber noch gar nichts im Vergleich zum Ozawa-Konzert, dessen erster Teil aus einer in der Stimmung eingedunkelten Wiedergabe des Violinkonzertes von Beethoven mit Anne-Sophie Mutter als in ihrer Perfektion und mit ihrer Feinabstimmung mit dem Orchester vollendete Solistin bestand. Am Pult hockend wartete Ozawa dann auch noch die Bach-Zugabe ab, die Mutter im dankbaren Gedenken an Karajan spielte.

Als am Ende der Pause Eliette von Karajan in vollem Ornat und begleitet von einem Blitzlichtgewitter im Zuschauerraum erschien, war die gute alte Salzburger Festspielwelt wenigstens für einige Augenblicke wieder in Ordnung. Da konnten die noch überlebenden Publikumsveteranen aus frühen Festspieltagen, die teils auf Krücken gestützt oder an den Rollstuhl gefesselt zu ihren Sitzen geschleppt werden müssen, wenigstens wieder in seligen Erinnerungen schwelgen. Da wirkte dann auch die 10.Symphonie von Schostakowitsch nicht mehr störend. Immerhin ist sie eine Abrechnung mit Stalin, der den Komponisten wegen seiner angeblich formalistischen Schreibweise persönlich gedemütigt hatte. Die würdigen Berliner und Ozawa, der gestikulierende und hüpfende Kobold, ergeben optisch eine etwas bizarre Kombination, deren musikalische Folgen sich jedoch sehr gut anhören ließen. Das dichte e-Moll-Gewebe des 1. Satzes war von herber Eindringlichkeit und resignativer Ruhe vor dem Sturm des wilden Scherzos, mit dem der Komponist an Stalin nach dessen Tod künstlerisch Rache nahm. Ozawa feuerte fuchtelnd zu beispielloser Lautstärke an. Doch auch die stilleren Phasen, in denen Schostakowitsch durch Anagramme einer Lieblingsschülerin huldigte, waren von fester klanglicher Konsistenz.

Am Ende war Ozawa offenbar der Einzige, der nicht wusste, dass Eliette da war. Als er sie dann sah, quittierte er diese Ehre mit einem Kabinettstück, das aus zahllosen mit gefalteten Händen vollführten buckelnden Verneigungen bestand, die mit verklärten Blicken zum Himmel wechselten. Was das Publikum zu noch größerem Jubel aufstachelte. (Peter Vujica, STANDARD/Printausgabe, 19.03.2008)