Eliette von Karajan liebt Spaziergänge im Regen. Schon mit 26 Jahren ging sie nach der Trauung mit Herbert ohne Schirm durchnässt bis auf die Haut durch Megève, wo die geheime Hochzeit stattgefunden hatte.

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Eliette hört beim Malen nur Bach.

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Gemälde von Eliette von Karajan aus der Coverserie für die Deutsche Grammophon mit dem Titel "Verlassenes Dorf".

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Herbert von Karajan hätte in diesem Jahr am 8. Oktober auch die Goldene Hochzeit feiern können. Seine Witwe hat auch das Salzburger Karajan Institut finanziert und den Prix Eliette von Karajan für Malerei gestiftet.

Anif – Eliette ist zu Sturz gekommen und ihre Schmerzen müssen gelindert werden. Daher wird sich ihre Epiphanie etwas verspäten. Ewald Markl, Herbert von Karajans treuem Gefährten, obliegt es mittlerweile, den Gast, der sich die Casa Karajan eigentlich feudaler vorgestellt hat, zu unterhalten.

Als Markl die Weile zu lang wird, stürmt er aus dem rustikalen Zimmer ins Obergeschoß, um die Linderung ein wenig zu beschleunigen. Mit der verheißungsvollen Ankündigung "Es kann sich nur mehr um Sekunden handeln!" kehrt er wieder.

Ganz im Gegensatz zur Wuchtbrumme, die man, orientiert an den Medienberichten, erwartet hat, erscheint eine gepflegte, aber völlig unaufgedonnerte mollige Dame, die, nachdem sie für ihren wehen Fuß die richtige Stellung gefunden hat, in relativ knappen Worten ihre Leiden protokolliert, an dem unschwer zu erkennen ist, dass sie innere Verletzungen mindestens ebenso scheut wie die ihrer Gliedmaßen, wenn nicht mehr.

Karajan: Was wollen Sie fragen?

Standard: Ich schreibe, was Sie möchten.

Karajan: ??

Standard: Vielleicht wollen Sie, dass etwas im Standard steht, was man Sie noch nie gefragt hat.

Karajan: Soll vielleicht ich Sie interviewieren?

Diese mitten im fließenden Deutsch, dessen sie sich sonst befleißigt, unerwartete, wenngleich originelle Fremdwortneubildung allein wäre den Besuch in Anif schon wert gewesen. Doch nun wird sie gesprächig.

Karajan: Wenige Tage, nachdem mein Mann gestorben war, hab ich einen Traum gehabt. Es war sehr früh, und er wollte mit dem Auto wegfahren. Ich habe gefragt: "Wo fährst du hin?" Er hat geantwortet: "Ich fahre an einen Ort, wo es wunderschön ist." Ich wollte natürlich mitfahren. "Das geht nicht", hat er gemeint. "Du hast hier noch viel zu tun." Als ich aufgewacht bin, habe ich gewusst, was ich zu tun habe: Ich musste mich um seinen Nachlass kümmern. Das war ursprünglich so gar nicht sein ausgesprochener Wunsch. Er hat gesagt: "Nachher kannst du gehen, wohin immer du möchtest."

Standard: Wieso haben Sie Ihren Mann gleich in der Nacht darauf begraben?

Karajan: Eigentlich wollte ich ja, dass in der Nacht nur meine zwei Töchter dabei sind. Aber das hat sich nicht machen lassen. Stellen Sie sich vor, wenn jemand eine Grabrede gehalten hätte? Das hat mein Mann ja immer gehasst. So habe ich seinen Sarg, bevor die Erde darauf gekommen ist, mit roten Rosen zugedeckt.

Standard: Das Karajan-Centrum in Wien haben Sie aber geschlossen. Warum eigentlich?

Karajan: Es hat sich nicht so entwickelt, wie ich es mir vorgestellt habe. Es wurde immer mehr kommerzialisiert. Sie haben Aschenbecher verkauft und Karajan-Regenschirme. Und um das zu fördern, bin ich nicht reich genug. Übrigens, ich hasse Regenschirme überhaupt. Ich gehe immer ohne Schirm, und in Salzburg, das können Sie mir wirklich glauben, regnet es sehr oft.

Und die Spaziergänge ohne Regenschirm haben bei ihr Tradition. Schon vor 50 Jahren – heuer würde sie übrigens die Goldene Hochzeit feiern – ging sie zusammen mit ihrem Herbert bis auf die Haut durchnässt spazieren. Und zwar als frisch getrautes Ehepaar unmittelbar nach der Hochzeit, die am 8. Oktober 1958 in Megève in den französischen Alpen stattfand.

Spricht man sie auf ihr Buch an, in dem sie unter dem Titel "Mein Leben an seiner Seite" (Ullstein Verlag) auch diese Episode berichtet, ist ihr dies erstaunlich wenig präsent.

Vielleicht, weil sie sich sehr oft mit ihren inneren Welten beschäftigt. Mit der Malerei, in die sie zunächst, ohne es zu wollen, hineingeschlittert ist. Ursprünglich sollten ihre beiden Töchter Isabel und Arabel in Salzburg ein bisschen Malunterricht bekommen, doch wirklich Feuer gefangen hat die Frau Mama.

Schon vor 26 Jahren verwendete die Deutsche Grammophon ihre Bilder als optisch autonome Cover zu einer Serie von Karajan-Aufnahmen, die sie allerdings nicht mehr hört.

Karajan: Seit mein Mann tot ist, habe ich von ihm keine Aufnahme mehr gehört. Beim Malen höre ich immer nur Bachs Goldberg-Variationen, gespielt von Glenn Gould.

Standard: Warum stellen Sie Ihre Bilder nicht aus?

Karajan: Ich habe mich viele Jahre nur mit der Farbe Blau beschäftigt. Außerdem denke ich gegenwärtig nicht an Ausstellungen. Denn jetzt ist das Jahr meines Mannes. Und wenn mich der liebe Gott an diesem 5. April zu sich nehmen will, dann wäre dies mein schönster Tag.

Diesen Wunsch wird ihr der liebe Gott wohl nicht erfüllen. Dazu gibt es für sie auch jetzt noch immer zu viel zu tun. Vor allem das Eliette und Herbert von Karajan Institut, das in Salzburg nun in der Nachfolge des Karajan-Centrums eingerichtet wurde, liegt ihr besonders am Herzen. Und da vor allem die Jugendarbeit, die im nächsten Jahr anlaufen soll und in deren Verlauf Sir Simon Rattle für junge Hörer auch die Generalproben zu den Osterfestspielen öffnen möchte.

Auch mit dem Prix Eliette von Karajan will sie vor allem junge Künstler fördern. Ebenso wie sie in Graubünden einen Kulturfonds eingerichtet hat, der jährlich mit mindestens 150.000 Franken rechnen kann und aus dem kulturelle und künstlerische Initiativen der Jugend – egal welcher Gattung – in dieser Region unterstützt werden sollen.

Karajan: Das können Sie in Ihrer Zeitung schreiben!

Zum Abschied gibt es ein Glas Wein. Dann lässt sie es sich trotz schmerzenden Fußes nicht nehmen, den Gast an die Haustür zu begleiten. Vor einem großen Bild, das zur Linken an der Wand hängt, bleibt sie stehen. Es ist ein Bild aus jüngerer Zeit.

Karajan: Greifen Sie es an, fühlen Sie die Struktur!

Ihr ist nämlich wichtiger, wie ein Bild entsteht, als wie es letztendlich aussieht. Dieses Bild ist jedoch sehr verräterisch. Trotz seines beachtlichen Formates ist es in seinen sanften Pastelltönen ein erstaunlich stilles Bild. Wenn Bilder das Innenleben des Malenden ausdrücken, gewissermaßen sichtbare Intimität sind, dann ist Eliette von Karajan tatsächlich ganz – oder auch – das Gegenteil von dem, wofür man sie gemeinhin hält.

Letztlich doch scheu und verletzbar. Die ideale weibliche Ergänzung für Herbert von Karajan, doch sicher nicht dieser selbst. (Peter Vujica / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.3.2008)