Mit dem Rücken zur Wand und auch sonst wenig frei: die "Separatisten" in einem Gastspiel des Gorki-Theaters.

Foto: Aurin
Wien – Einigermaßen ungeduldig wartet man an der Theaterfront auf die Anzeichen einer Wende. Zumindest auf eine Kurve, die nach Jahren des erfolgreich ausgeweideten Pop- und Trashtheaters einen neuen Horizont eröffnet. Einen, wo Theater auch wieder ohne Ironie geschaut werden kann, wo Postdramatisches einem neuen, "narrativen" Theaterrealismus weichen darf.

Zwischen Weimar und Berlin wird geunkt, die neuen Könner stünden schon vor der Tür. Es fallen klingende Namen wie Roger Vontobel, Felicitas Bruckner oder David Bösch, und an der Last, junge Genies sein zu müssen, haben sie ordentlich zu tragen. Mit Verspätung nimmt auch Österreich davon Kenntnis.

Einer von ihnen, Laurent Chétouane, bezieht mit seinem soeben in Weimar unter Jubel und Gebuhe gleichermaßen entgegengenommenen Faust 2 nächste Woche (3. bis 5. April) das brut-Theater im Künstlerhaus. Ein anderer, dessen Ruf als Naturtalent ihm seit dem Abgang von der Ernst-Busch-Schule vorauseilt, gastierte jetzt (am Donnerstag und Freitag) mit einer aus dem Vorjahr stammenden Produktion des Gorki Theaters am Schauspielhaus: Tilmann Köhler. Der junge Mann mit ins Gesicht gekämmtem Flatterhaar war im Vorjahr bereits zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden. Mit dem anderen Bein auch zum Theatertreffen der Jugend (Amoklauf mein Kinderspiel von Thomas Freyer).

Ade Dekonstruktion!

Es ist allerdings nicht das Nonplusultra der Inszenierungskunst, die den Twentysomethings in den Kritiken bescheinigt wird. Erstaunlich unhymnisch, wenn auch akklamierend bleiben die Reaktionen. Was hier zählt, ist vielmehr die Neupositionierung im Regieführen. Ade Dekonstruktion! Tilmann Köhler ist längst Hausregisseur am Nationaltheater seiner Geburtsstadt Weimar, und das wird man auch nicht einfach so. Da hat man bereits eine Visitenkarte. Ihn und seine Altersklasse definiert man denn auch als "friedfertige Antirebellen", die ehrfürchtige Textliebhaber sind und generell eine "neue Ernsthaftigkeit" postulieren. Hier wird nichts mehr niedergerissen, sondern einfach nur weitergearbeitet, und mit Blutkonserven wird neuerdings auch viel vorsichtiger hantiert.

Die Waffen, die ein Grüppchen Globalisierungsverlierer kapert, um unter dem Kugelhagel der New Economy zwischen Kaufladen und Klub der Freundschaft, wo man die Abrissmaschinen schon hört, ein eigenes unabhängiges Territorium zu errichten und zu schützen, diese Waffen sind in Köhlers Regie auch bloß Plastikflaschen, aus denen läppisch Wasser tröpfelt.

Separatisten heißt diese Aussteigerfantasie, die Thomas Freyer (Jahrgang 1981) auf flinken 35 Seiten entwarf. Und das jetzige Gastspiel im Wiener Schauspielhaus hielt die Neuartigkeit der jungen Generation doch größtenteils unter Verschluss. Wenngleich: Sie ließ davon ahnen, was an Mut zur theatralischen Abrüstung in dem jungen Regisseur bereit liegt. Der abgewirtschaftete Raum, die urbane oder europäische Randzone, die die Separatisten bewohnen, das ist lediglich eine mattsilbrig von der Rückwand hängende und ebenerdig bis an die Rampe gezogene Plane (Bühne: Annette Riedel), die keinerlei Kontur signalisiert. Hier muss man in jedem Fall abrutschen.

Mit fünf Schauspielern und einer Bassgitarre durchwandert Köhler die Verliererzone, die man sich filmisch am besten mit Andreas Dresens Realismus dazudenken kann. Zu ihr gehört auch Max Simonischek als Anführer Johan, dessen defätistisches Gebaren man mit seiner Gala-Figur allerdings nur sehr schwer in Einklang zu bringen weiß. Von diesem Abend wird noch nicht viel bleiben, aber es wird noch einiges zu erwarten sein. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe, 29./30.03.2008)