Blecha zu Neuwahlen: "Ausschließen kann man nichts. Da es jetzt im Juni keine gab, ist die Wahrscheinlichkeit dass es im Herbst eine gibt, meiner Ansicht nach ganz gering."

Foto: derStandard.at/Geibel

"Ich habe da also keine Frustgefühle. Was nutzt es, wenn ich mich heute darüber aufrege, dass ich damals in bestimmte Dinge hineingezogen wurde."

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Blecha zur Noricum-Affäre: "Dass die Lieferung gar nicht nach Libyen geht, sondern im Iran landete, habe ich nicht wissen können."

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"Österreich ist ein Asylland und mittlerweile auch ein Einwanderungsland".

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Blecha zu den Protesten gegen die Studiengebühren: "Ich hätte ähnlich reagiert, aber ich hätte den Kampf weiter forciert."

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Blecha zum Gusenbauerbrief: "Ich glaube aber, dass es in Ordnung ist, einen Brief zu schreiben. Aber ein Brief alleine nutzt natürlich nichts."

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"Sehr spät" stelle sich Bundeskanzler Gusenbauer nun einer Diskussion mit der roten Parteibasis, meint Ex-Innenminister und Pensionistenvertreter Karl Blecha, aber besser spät als nie. Ein Brief alleine nütze jedenfalls nichts, sagt er im Interview mit derStandard.at.

Im Fall Noricum, in den er Ende der Achzigerjahre verwickelt war, habe er sich nichts vorzuwerfen. Dass die Lieferung gar nicht nach Libyen geht, sondern im Iran landete, habe er nicht wissen können. Wenn er auf die 75 Jahre seines Lebens zurückblickt, macht ihn vor allem seine Familie zufrieden.

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derStandard.at: Sie haben 1963 das Sozialforschungsinstitut IFES gegründet und sind ausgebildeter Politikberater. Was würden Sie der SPÖ, respektive Bundeskanzler Gusenbauer aktuell raten?

Blecha: Das, was jetzt geschieht, ist sicher ein gute Wendung. Der Bundeskanzler stellt sich der Kritik und den Beschwerden verschiedenster Art. Seine Vorhaben sowie das, was er erreicht hat, sind eigentlich bei vielen an der Basis unbekannt. Die Bevölkerung ist unzufrieden, und wenn sie die vorhandenen Erfolge bisher nicht zur Kenntnis genommen hat, muss geklärt werden wieso. Für diese Reise, die der Bundeskanzler jetzt macht, ist es höchst an der Zeit. 5 Minuten vor 12 sozusagen.

derStandard.at: 5 vor 12 oder eigentlich schon zu spät?

Blecha: Sehr spät, ja. Aber es ist nie zu spät.

derStandard.at: Glauben Sie, dass der "Entschuldigungsbrief", den ja auch Sie bekommen haben, von der Parteibasis als ehrliche Entschuldigung akzeptiert wird?

Blecha: Auf diese Einzelheiten gehe ich bewusst nicht ein. Ich glaube aber, dass es in Ordnung ist, einen Brief zu schreiben. Aber ein Brief alleine nutzt natürlich nichts. Jetzt müssen konkrete Taten folgen, was zu funktionieren scheint.

derStandard.at: Ist das die "offene Partei", die sie früher immer propagierten?

Blecha: Es ist leicht, eine offene Partei zu sein, wenn man weit über 700.000 Mitglieder hat wie wir damals. Die Situation heute muss einen dazu zwingen, neue Wege der Kommunikation mit den Bürgern zu finden. Die Sozialdemokratie muss ihre Ziele und Visionen klarer formulieren. Die jungen Leute wollen keine Schlagworte, sondern konkrete Antworten auf konkrete Fragen. Wenn es uns mit dem humanistischen Auftrag ernst ist, dann muss die Sozialdemokratie ihr Wertesystem auf den Tisch zu legen, an dem sie sich dann auch messen lassen muss. Man kann sich nicht in Leerformeln flüchten.

derStandard.at: Sie halten die Mindestsicherung für eine "grandiose Idee", fordern aber gleichzeitig, dass es niemanden geben dürfe, der durch Arbeit unter 1.000 Euro verdient. Glauben Sie tatsächlich, dass die Wirtschaft hier mitspielt?

Blecha: Es gibt ja schon eine Reihe von Kollektivverträgen, in denen ein Mindestlohn von 1000 Euro akzeptiert wurde.

derStandard.at: Und die freien Dienstnehmer?

Blecha: Hier müsste man sich noch gesondert den Kopf zerbrechen, auch was die Teilzeitbeschäftigungen betrifft.

derStandard.at: Die junge Sozialdemokratie protestierte zwar anlässlich des SPÖ-Umfallers bei den Studiengebühren. Seitdem ist aber von ihnen wenig zu hören, auch der VSStÖ, dessen Obmann sie waren, konzentriert sich seit dem Abgang von Barbara Blaha auf andere Themen. Sind die Jungen politikmüde?

Blecha: Wenn Erwartungen enttäuscht werden, ist die Reaktion oft Rückzug. Das ist allerdings ein falscher Weg, wenn ich überzeugt bin, dass sich etwas ändern kann.

derStandard.at: Wie hätten Sie als VSStÖ-Obmann reagiert?

Blecha: Ich hätte ähnlich reagiert, aber ich hätte den Kampf weiter forciert. Die Öffentlichkeit war mehrheitlich für eine Abschaffung der Studiengebühren. Jetzt hat sich die Mehrheit aber damit abgefunden, wenn sich selbst die Betroffenen nicht mehr beschweren.

derStandard.at: Glauben Sie, dass diese Regierung die großen Vorhaben tatsächlich schaffen wird: Gesundheitsreform, Steuerreform, Staatsreform, Bildungsreform, Kinderbetreuung?

Blecha: Sie muss es schaffen. Für grundlegende Reformen sind große Mehrheiten erforderlich. Die regierungsbildenden Parteien sind aufgrund ihrer Größe dazu verpflichtet, diese Reformen durchzuführen. Aus diesem Grund bin ich ein Fan dieser Koalition, obwohl mir eine andere Konstellation sympathischer gewesen wäre. Die Skepsis vor allem der jüngeren Generation ist berechtigt, aber mittlerweile glaube ich, dass nach einer Zeit fruchtloser Blockaden die Hauptexponenten zusammengefunden haben. Sollten die Reformen nicht gelingen, wäre das für Österreich sehr, sehr schlecht.

derStandard.at: Welche Konstellation wäre Ihnen denn sympathischer gewesen?

Blecha: Zum Beispiel eine rot-grüne Koalition, die aber viele der anstehenden Probleme nicht beheben könnte. Schließlich braucht man zum Beispiel für die anstehende Bundesstaatsreform die Unterstützung der Länder.

derStandard.at: Kann man Neuwahlen im Herbst ausschließen?

Blecha: Ausschließen kann man nichts. Da es jetzt im Juni keine gab, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es im Herbst welche gibt, meiner Ansicht nach ganz gering.

derStandard.at: Die nächste Belastungsprobe für die Koalition ist der U-Ausschuss, der zu den Vorgängen im Innenministerium ermittelt. Sie waren ja auch in eine der größten Skandale in Österreichs Politikgeschichte verwickelt... Wie sehen sie den aktuellen U-Ausschuss?

Blecha: Mit Interesse. Denn wenn sich die Vorfälle, die zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses geführt haben, als richtig erweisen, müssen eine Reihe von Maßnahmen folgen. Wenn sie sich als falsch erweisen, wird das für die Verdächtigten im Endeffekt sehr gut sein.

derStandard.at: Der Noricum-Skandal hat 1989 Ihre politische Karriere erstmal beendet. Wie hätte Ihre Karriere wohl ohne den Noricum-Skandal ausgesehen? Was hätten Sie noch erreichen wollen?

Blecha: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass vergessen können jung hält, lückenlose Erinnerungen einen hingegen alt machen. Ich bin sehr glücklich, dass ich auch jetzt noch im Dienste eines Wertsystems tätig bin, dem ich schon seit meiner Jugend verbunden bin. Ich kann etwas bewegen und für sozial Schwache eintreten. Ich habe da also keine Frustgefühle. Was nutzt es, wenn ich mich heute darüber aufrege, dass ich damals in bestimmte Dinge hineingezogen wurde.

derStandard.at: Gibt es etwas, dass sie sich persönlich im Zusammenhang mit Noricum oder Lucona vorwerfen?

Blecha: Nein, überhaupt nicht. In der Lucona-Affäre war ja ich der, der die Causa Proksch zum Staatsanwalt gebracht hat. In der Noricum-Geschichte hat die Bundesregierung den strengen österreichischen Waffentransportbestimmungen entsprochen, nicht an Krieg führende Länder zu liefern. Dass die Lieferung gar nicht nach Libyen geht, sondern im Iran landete, habe ich nicht wissen können. Das hat der Bundeskanzler Sinowatz nicht gewusst und der Außenminister Leopold Gratz auch nicht. Das habe ich der Öffentlichkeit versucht, klar zu machen. Viele Produkte neutraler Staaten sind letztendlich über verschiedene Kanäle dort gelandet, wo sie gebraucht worden sind, sprich wo es eben Krieg gegeben hat. Aber Österreich hat seine Noricum-Kanonen nicht an Kriegsführende verkauft.

derStandard.at: Wie beurteilen Sie Ihren Amtsnachfolger Günther Platter? Viel kritisiert wird er für die Onlinefahndung und das Asylrecht. Können Sie in diesen Themen seine Entscheidungen nachvollziehen?

Blecha: Österreich ist ein Asylland und hat hier einen sehr guten Ruf. Aber man hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass bestimmte Voraussetzungen - nämlich Verfolgung aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen - vorliegen müssen. Ob diese Voraussetzungen da sind, muss man aber sehr rasch überprüfen. Natürlich ist es heute schwieriger geworden, aber man kann nicht Leute, die bereits vollkommen integriert sein, abschieben.

derStandard.at: Wenn Sie morgen an Ihrem 75. Geburtstag rekapitulieren, womit sind Sie besonders zufrieden?

Blecha: An erster Stelle bin ich mit meiner Familie zufrieden. Die gibt mir die Kraft, dass ich soviel tun kann. Außerdem bin ich zufrieden, dass ich, zwar nicht soviel wie ich mir vorgenommen habe, aber doch Einiges erreicht habe. Und im politischen Bereich freue ich mich jedes Mal wenn endlich ein neuer Gesetzesbeschluss kommt, der vielen Leuten helfen kann. (Manuela Honsig-Erlenburg, Madeleine Geibel/derStandard.at, 15.4.2008)