Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht ganz das typische Bild vom Backpacker: James Boswell

Foto: Archiv

Bild nicht mehr verfügbar.

Städte wie Rom zählten zu den beliebtesten Reisezielen. Einerseits war Italien für Kultur und Religion bekannt, anderseits hatte das Land einen sehr "freizügigen" Ruf.

Foto: APA/AP/Plinio Lepri

Bild nicht mehr verfügbar.

Vieles hat sich verändert: Destinationen wie Italien sind zum Beispiel Thailand gewichen.

Foto: APA/EPA/Narong Sangnak
„James Boswell wusste, dass die ‚Grand-Tour’ seine letzte und ruhmreiche Möglichkeit war, seinen eigenen Charakter zu erforschen und Spaß zu haben, bevor ihn die langweiligen Pflichten des Alltags erwarteten“, schreibt Frank Brady in seiner Einleitung zu James Boswells Tagebüchern. Die Tagebücher stammen aus dem 18. Jahrhundert und geben Aufschluss über die Abenteuer junger britischer Adeliger und Angehöriger der Oberschicht, die vor dem Berufseinstieg im Zuge der sogenannten 'Grand Tour' durch Europa reisten. Das damalige Konzept erinnert stark an das heutige Phänomen „Freijahr“. Auf Englisch: „Gap-Year“ – ein Ausdruck der sich auf der Insel mittlerweile komplett eingebürgert hat und auch auf dem Lebenslauf eine gute Figur macht.

Immer mehr MaturantInnen gönnen sich vor dem Studium oder Berufeinstieg eine Auszeit, um zu reisen und kulturelle sowie persönliche Erfahrungen zu sammeln. Die Tourismusindustrie hat die kommerziellen Möglichkeiten dieser Entwicklung schon längst erkannt, Webseiten wie „gapyear.com“ und Studenten-Reisebüros wie STA-Travel bieten "Gap-year"-Erfahrungen an.

Der erste Reiseführer

James Boswell beweist, dass die Idee einer solchen Auszeit nicht ganz so neu ist: Vierundzwanzig Jahre jung und direkt vor dem Berufseinstieg gönnte er sich nach seinem Jusstudium von 1763 bis 1765 eine ausgiebige Reise nach Europa. Allein war er damit nicht, in der englischen Oberschicht und dem Adel war eine obligatorische Bildungsreise gesellschaftlich anerkannt. Sie galt der kulturellen Weiterbildung und diente der persönlichen Entwicklung sowie der Vertiefung von Sprachkenntnissen. Der gleichnamige Reiseführer („The Grand Tour“), wurde 1749 veröffentlicht und zählt zu einem der ältesten Büchern dieses Genres. Der Autor, Thomas Nugget, schreibt darin: „Reisen bereichert den Verstand mit Wissen, verbessert die Urteilskraft und beseitigt Vorurteile der Erziehung um Manieren und Erscheinungsformen zu vertiefen, und in einem Wort den perfekten Gentleman zu formen.“

Das Wort Gentleman ist zwar nicht mehr ganz akkurat, aber trotzdem gilt: viele MaturantInnen und StudentInnen versprechen sich von einer Auszeit persönliche Weiterentwicklung und können diese so auch zukünftigen Arbeitgebern verkaufen. Allerdings lässt sich ein wichtiger Aspekt einer solchen Auszeit nicht leugnen: Spaß. Auch hier machen es uns die Engländer vor, schärfster Kritikpunkt der ‚Grand Tour’ war die Ausgelassenheit mit der der Gentleman in spe durch Europa reiste. Lady Mary Wortley Montagu erklärte, dass sich die jungen Reisenden nur merkten „wo sie die hübschesten Mädchen und den besten Wein trafen“ und schon im Jahre 1731 empörte sich die Tageszeitung „Daily Post“, dass die „Englischen Gentleman-Reisenden die ganze Zeit nur trinken und ausschweifend leben.“

Verruchtes Italien

Im Zuge der ‚Grand Tour’ konnte man tatsächlich den Konventionen der strengen und eher prüden britischen Gesellschaft für eine gewisse Zeit entfliehen. Genau in diesem Punkt gelten James Boswells Tagebücher als historisch wichtig. Laut Brady hatte er den Mut, seine Erlebnisse ehrlich zu dokumentieren und schrieb so über damals brisante Themen wie Sex und Politik. Seine ‚Grand Tour’ begann in Holland, wo er zehn Monate studierte. Dort verhielt er sich ganz bürgerlich und wurde den Vorstellungen seines Vaters gerecht. Die anschließenden Reisen nach Deutschland, in die Schweiz, nach Frankreich, Korsika und Italien gestalteten sich für den Leser allerdings ein wenig spannender.

Besonders Italien vereinte damals genau die Aspekte in sich, die junge Reisende schätzen. Einerseits galt Italien als Zentrum von Religion und Kultur, andererseits hatte das Land einen freizügigen Ruf. So schrieb Boswell zum Beispiel: „Die Manieren in Italien sind offensichtlich verdorben, Ehebruch wird ganz öffentlich betrieben.“

Existenzielle Fragen

Die Grand Tour stellte tatsächlich persönliche Herausforderungen an den jungen Boswell, wenn auch nicht nur die, die sein Vater für wünschenswert hielt. Brady schreibt, dass Boswells Tagebücher „Die intensive Unruhe reflektieren, mit welcher er eine Balance zwischen Moral und Prinzipien und den großen existenziellen Fragen und Wünschen suchte.“ Textstellen drücken seinen Zwiespalt aus: „Die Frauen in Turin sind wunderschön und ich dachte, ich könnte mir ein Abenteuer erlauben um mein Wissen über das Leben zu vergrößern und meine Abneigung zu schamlosen Frauen zu steigern“.

Die Zeiten haben sich geändert, soviel steht fest. Reisen bleibt nicht nur dem (vorwiegend männlichen) englischen Adel vorbehalten, sondern ist erschwinglich geworden. Destinationen wie Italien sind exotischeren, zum Beispiel Thailand, gewichen. Der historische Vergleich weist aber so manche Parallelen auf - was Eltern und Arbeitgeber sich erwarten ist nicht immer das, was die Auszeit tatsächlich mit sich bringt. (Madeleine Geibel, derStandard.at, 22.4.2008)