Christiane Pohle, ansonsten vor allem an den Münchner Kammerspielen tätig, liebt Jonke und Bernhard.

Foto: Urban

Ab Samstag soll eine exzentrische poetische Welt entstehen. Der Versuch einer Annäherung.

Wien – Gert Jonkes neues Stück Freier Fall, das am Samstag im Wiener Akademietheater uraufgeführt wird (19 Uhr), sperrt sich unnachgiebig gegen jeden Versuch der Nacherzählung.

Jonke hebt mit ein paar wenigen Satzkaskaden die gesamte uns bekannte Naturgeschichte aus den Angeln. Er versetzt den Adam-und-Eva-Mythos in die Zukunft. Er tut des Weiteren aber auch so, als träumte irgendein finsterer Gott von der Auslöschung der ganzen Menschheit. Durch die Havarie einer Lokomotive gerät nämlich der Wienerwald in Brand.

Die Hauptfigur "Erich" (was natürlich so viel heißt wie: "Er & ich"), die seit unvordenklichen Zeiten davon und dadurch lebt, dass sie lauter Suizide begeht, um desto wortgewaltiger weiterzuleben, hätte liebend gerne vor Eintreffen der Feuerwalze ein von ihr errichtetes Installationskunstwerk dort, wo das Stück passiert: im Wienerwald, in Brand gesetzt. Feuersbrünste, wohin man blickt.

Das alles kann man – von der Lektüre wundersam gekräftigt und erheitert! – genau so wiedergeben. Das geht nur absehbar gar nicht: Die Leser hielten einen zwangsläufig für verrückt.

Jetzt kann nur noch Christiane Pohle Abhilfe schaffen. Szenenwechsel: vom lichterloh brennenden Wiener Wald zurück in das vom Frühlingsregen zugeprasselte Wiener Akademietheater. Die deutsche, aus der Off-Szene hervorgegangene Regisseurin Pohle (40), die mit Freier Fall ihr drittes Jonke-Stück uraufführt, sich mit dem poetischsten aller zeitgenössischen österreichischen Dramendichter also geduldig "am Stück" beschäftigt, hasst Interviews. Man betritt frühmorgens, in Begleitung eines durchaus nassgespritzten Fotografen, eines der gefürchteten Garderobenzimmer im Akademietheater. Es begrüßen einen: Plastik und Pressholz, komplett nur mit integriertem Nasszellenimplantat.

Ein Spiegel, der durch seine schieren Ausmaße ideal geeignet erscheint, den Weißclown des Armenischen Staatszirkus nimmermüde entstehen zu lassen, blickt mürrisch verhangen. Hier dösen – ausgestreckt auf einer "Chaiselongue", die jeder Mindestrenter sofort zugunsten der Burma-Hilfe aussortieren würde – Schauspieler wie Markus Hering ("Erich") ihrem Uraufführungseinsatz entgegen.

Noch nicht angefangen

Frau Pohle presst die Lippen zusammen. Noch Fragen? Das Interview hat, zugegeben, noch gar nicht begonnen.

Was also soll man fragen? Frau Pohle, deren ägäisch meerfarbenen Augen so schön wie abweisend sind, lässt sich durchaus bereitwillig auf eine "Inhaltsangabe" ein. Aus ihrem kompetenten Prosastrom geht messerscharf hervor, dass durch Figuren wie "Erich" natürlich der Autor selbst spricht. "Erich" wäre also eine Charaktermaske für "Gert". Jonke setzt sich Masken auf; durch sie quellen kaum enden wollende Sätze hindurch, die – und jetzt zitieren wir Pohle – "Naturkatastrophen entstehen lassen. Sie werden von den Figuren ,erfunden' – damit sind sie aber auch schon Realität!"

Also: Der Wienerwald brennt wirklich! "Erich", der sich eine "Siedu" (Libgart Schwarz) findet, wandert, nachdem ihn eine Terrorbekämpfungstruppe aus der Zukunft aufgespürt hat, in den Zuschauerraum aus. Die Wirklichkeit ist nur leider auch nicht schöner als der Wienerwald.

Pohle: "Die Figuren würden es in der Wirklichkeit doch nicht aushalten. Da ist die Realität: Da fährt die Straßenbahn vor ihren Füßen. Das hält Jonke nicht aus. Deswegen schreibt er: weil das Leben so fade ist!"

Schauderhafter Gedanke. Durch den Regen knirscht die Bim. Sie dampft. Sie ist rot wie ein Feuerwehrauto. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25.5.2008)