Wien - Weiß ist ihre Farbe: sieben Männer und eine Frau in leuchtenden Ashramgewändern in blasser Bühnenlandschaft. Sie theoretisieren, führen große Worte in ihren Mündern: Freiheit, Wahrheit, die "Absurdität des menschlichen Lebens". In solch erhaben-gedankenreiner Atmosphäre stechen nur dem Thesenträger feuerrote Pausbäckchen hervor, mehr Farbe pinselt Regisseur und Hausherr Dieter Haspel auf sein andächtiges Ensemble-Spiel nicht. Selbst als Kaiser Caligula am Ende von den Patriziern erdolcht wird, ist das Theaterblut, das er auf den Wandspiegel spuckt, ein Hohn auf jeden blutrünstigen Bühnentod. Hier zählt nur das Wort. Das große Wort. Dabei hätte Caligula alle Qualen dieser Welt verdient, müsste er die Leiden, die er seinen Untertanen zugefügt hat, am Ende selbst ausstehen. Er, der ob der Erkenntnis, dass die Menschen nicht glücklich sind, "das Unmögliche" verlangt, der einen Terror der Unberechenbarkeit entfaltet und die schrankenlose Freiheit nun einmal auf die Dolches-Spitze treibt. Anselm Lipgens als existenzphilosophischer Despot übt sich dabei in kühlem Wahnwitz, nach der Pause kokettiert er, spielt Götter-Trine und Ballerina. Seine Chargen aber bleiben Mauerblümchen, die sich zaghaft vor ihm aufrichten: als wandelnde Worthülsen. Mit Puder bestreut Haspels Inszenierung bestreut Albert Camus' Caligula mit viel Desinfektionspuder. Sie weist demonstrativ auf ihre Gedankenlast hin und bleibt das intellektuelle Gefecht trotzdem schuldig. Freiheit, Wahrheit, Absurdität: als jeder schwarz gewandeten Studententruppe in Weiß bezogener Studiobühne das Wünschen noch geholfen hat, klirrten solche Begrifflichkeiten. Vielleicht auch, wenn die Gedanken derart abgelöst von ihren Trägern daherkamen wie in dieser aseptischen Ensemble-Theater-Produktion. Stephan Hilpold
Ensembletheter am Petersplatz, 1., Petersplatz 1, Karten und Informationen: 53 53 200, www.ensembletheater.com.
Bis 31. November.
19.45 (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 17.10. 2000)