Das Musiktheater "The Long Rain" von Olga Neuwirth und Michael Kreihsl wurde im Rahmen des "steirischen herbstes" trotz technischer Probleme ein Erfolg, findet Manfred Blumauer. Graz - Die Uraufführung am Donnerstag beim steirischen herbst. Ab Sonntag dann Aufführungen in Donaueschingen. Und schließlich die November-Landung bei Wien modern, wenn die Musiktheater-Initiative Netzzeit The Long Rain im Kasino des Burgtheaters am Schwarzenbergplatz präsentiert: Dieser Bogen spricht allein schon für die weitreichende Geltung der steirischen Komponistin Olga Neuwirth und deren Karriere seit ihren ersten Schritten in die Öffentlichkeit unter der ermunternden Aufsicht Hans Werner Henzes vor anderthalb Jahrzehnten. Das Werk hat zwei Autoren: Neuwirth und den Wiener Filmemacher Michael Kreihsl, die gemeinsam das Drehbuch verfasst haben. Die Sequenzen des Films sind nicht nur zeitlich genauestens auf die Abschnitte der Musik abgestimmt; kompositorische und filmische Verfahrensweisen spiegeln einander gegenseitig und heben sich zugleich voneinander ab - gemäß ihrer medialen Eigendynamik. Soldaten nach der Notlandung Grundlage des Plots ist die gleichnamige Kurzgeschichte des Amerikaners Ray Bradbury. In der Umformung durch die beiden Autoren, zumal in der Realistik der Bildgestaltung, verliert sich der ursprüngliche Science-Fiction-Charakter der Erzählung und weicht der Möglichkeit eines Hier und Jetzt: Man sieht die vier Soldaten nach ihrer Notlandung im ständig prasselnden Regen, in ihrem Vorwärtsdringen durch Sumpf und Gewässer zur vermeintlichen "Sonnenkuppel". Doch kommen sie bis auf die Haut durchnässt, infolge einer Aberration der Kompassnadel, wieder zum Ausgangspunkt zurück. Man denkt unwillkürlich an aktuelle Katastrophen, wie sie sich in letzter Zeit gemehrt haben - bis zuletzt im Wallis- und im Aosta-Tal. Die Betroffenen mögen diese Weltuntergangsstimmung ähnlich empfunden haben wie die von Bild und Ton umkreisten Besucher in der Waagner-Biró-Halle, einem leer stehenden Industriebau (der in der diesjährigen styriarte mutwillig als "Festspielhaus" figuriert hatte). Die vom Klangforum Wien unter Peter Rundel perfekt einstudierte großformatige Partitur erklang infolge eines Defekts aber nicht vollständig: Wie Intendant Peter Oswald eingangs erklärte, habe sich kurz vor der Aufführung ein Computervirus eingeschlichen, so-dass die Liveelektronik, die Frau Neuwirth seit Jahren in ihre Kompositionen einbezieht, nicht aktiviert werden konnte. Er versprach aber eine komplette Wiederaufnahme des Werkes 2003, dem Jahr der "Kulturhauptstadt Graz", und gratis für alle, die schon jetzt ihren Besuch anmelden! Auch so war die musikalische Einkreisung durch vier an den Saalseiten postierte Gruppen der insgesamt zwei Dutzend Musiker zweifellos aufregend genug: Blas- und Schlaginstrumente dominieren mit der ganzen schillernden Vielfalt möglicher Klanghervorbringungen, einzelne Streichinstrumente fügen ihre Farbschattierungen hinzu. Dazu nicht nur die bildliche Realistik der Regenszenen mit den Schauspielern Markus Hering, Alexander Löffler, Michael Masula und Andreas Patton, sondern auch eine prägnante Metaphorik der Bildsprache, die an Sintflut und Jüngstes Gericht denken lässt: Der Trompeter Sasa Dragovic folgt den Verirrten, zuletzt ist es nur noch einer - wie ein Phantom. Und die immer wieder eingeblendete Halle des gesuchten Doms als einem Ort der (letzten) Einkehr und Geborgenheit, wo aber die Musiker - nicht synchron mit dem tatsächlich zu hörenden Klängen - spielen und nach und nach abtreten . . . Weltende? (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22. 10. 2000).