Wien - Wer in Wien bis vor kurzem Bertolt Brecht aufspüren wollte, der musste sich zunächst an seine Gemahlin Helene Weigel zurückerinnern: an ihren Ruf als patente Mehlspeisköchin - ihr Wiener Salonküchen-Erbteil. Er durfte sodann an Torberg/Weigels unselige Boykott-Maßnahmen zurückdenken. Die Brecht-Küche wurde hierzulande einfach geschlossen gehalten oder aus "ideologischen" Erwägungen gar nicht erst aufgesperrt. Der Argwohn war geweckt gegen Brecht, den ausgekochten Salon-Bolschewiken. Weiberheld Brecht zu Gast in Weigels Küche: Das war die Wiederkehr des Epikers als Tafelspitzbube, und Biograf John Fuegi schrieb die Skandalspeisekarte, mit den Brecht-Frauen als Amüsierhappen. Nun scheint aber eine wunderbare Lockerung der Manieren eingetreten. Brecht darf in Robert Quittas Theatersuchbild Brecht bekehrt sich sogar persönlich auftreten. Er bekleidet im Theater des Augenblicks eine Rolle, in der er zu posieren pflegte, wenn er den Mund voll nahm: das Augsburger Bürgersöhnchen als Schnaps-Kraftmensch. Der sehr jungenhafte, bleiche Christian Kainradl probt, die Beine kunstvoll verschränkt, im Mao-Drillich bereits die asiatische Denkerpose. Ein Lichtspot küsst ihm zärtlich den Scheitel. Hinter seinem Rücken wacht barbusig ein Frauenzimmer (Nora Krehan): das Meerschaum-geborene Lusttraumbild jedes Freizeit-Insulaners. Der junge Brecht ließ die Frauenleichen ja zu Dutzenden die Ozeanwirbel hinabtauchen. Aber darum geht es Quitta gar nicht. Er nimmt Brechts mythische Herkunft aus den "schwarzen Wäldern" zum Anlass, über des Dichters Verhältnis zu Bäumen nachzudenken. Wir erinnern uns: Der kranke "BB" saß am Schermützelsee und verkostete wieder ein paar Verse über Bäume, während die Panzerketten über die Werktätigen hinwegrollten. Sah er vor lauter Bäumen den Wald nicht? Linde, wehe Bilder: Zwei bürgerliche Dichterlinge, die im Flanier-Zwiegespräch über die mildtätige Wirkung der Birke plaudern. Brecht hat sich da schon mit dem Boxhandschuh gegen das eigene Kinn geschlagen, hat mit dem Zeigestab einen Volkshochschulkurs in Sachen Vulgär-Marxismus abgehalten ("Ja sagen! Ja sagen!") - das Theater als Schnellsiedeküche. Der ganze wunderbare Abend ist aber so anhaltend ungeschäftig wie ein vom Wind bewegter Zweig. Diese empfehlenswerte Aufführung sagt: Nimm von Brecht die Widersprüche. Heb' sie nicht auf. Halte sie aus! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 11. 2000)