Wien - Im Stand der Unschuld, wenn es sich verzaubert wähnt, zelebriert das Theater seine schönsten Vermählungsfeste. So söhnte Ferdinand Raimund vor langer Zeit die Feen mit den Handwerksburschen aus: Dazu musste er die zerklüfteten Gefühlsgipfel seiner Figuren mit dem üppigen Gras des Kitsches ordentlich fett machen. Schon in Johann Nestroys Possen trösten die zu Stück-ende angebahnten Eheschließungen kaum mehr über das untröstliche Bewusstsein hinweg: Hinter jedem aufrechten Misanthropen fällt einmal die Tür ins Schloss, und dann hat er die Ehehölle auf Erden. In Georg Timber-Trattnigs sexualhygienischer Zauberposse Hera Clit wird das Eheversprechen gleich zu Beginn abgeleistet: im Wiener Schauspielhaus, wo man im Gassenlokal des "schaufensters" Beziehungen anbahnt für die bündige Dauer kürzester Spielserien. Kein Zweifel: Hier küsst das Theater schlummernde Dramentalente noch vollmundig wach, und es schürzt dazu mokant die Lippen, denn da wäre noch mehr möglich. Für wenig Geld und noch weniger Ressourcen werden in Hans Gratzers dramatischer Gebärklinik die ungeratensten Kinder der Theaterliebe kostengünstig abgelegt. Man verrichtet Hebammendienste zum Nahe-bei-Nulltarif. Begabungen, um die sich offenbar ansonsten keiner schert, werden hier trockengewickelt und stillgelegt. Das alles schlägt und packt man in das Säuglingstuch einer überwiegend faserschmeichelweichen Kellerbudenästhetik. Es handelt sich bei Hera Clit nun aber um die versponnensten Verse, die das vor einem Jahr verstorbene Karawanken-Kraftgenie Timber-Trattnig je ersonnen hat. In ihnen bekennen Hera und Clit, das köstliche Paar, einander nicht etwa ihre Liebe, nein: Sie versprechen sich in zart umschlossenen Reimen mindestens ein Sonnenspiel der Lüfte, und ohne die blinkende, blökende Zustimmung des Weltalls, der "Sonnendiademe" und der Mondkälber wird hier unter keinen Umständen kopuliert. Diesem irrsinnig übersäuerten Kitsch traut der junge Regisseur Georg Staudacher verständlicherweise nicht über den Weg. Er steckt dem Text die Figur des "Autors" als trauriges Propf-Reis auf. Simon Hatzl ist die verkommenste TV-Wohnzimmer-Jammergestalt, die vor Blümchentapeten je in eine wohlig dosierte Raserei verfiel. Ein langes, verhangenes Elend, dabei von der tragischen Sicherheit des Funny-Bones-Komödianten. Ein Zwangshandlungsreisender durch den eigenen Kopf, der zwei Puppen wie Homunculi aus Plastik herausschält, sie mit Bier tauft und mit dem Odem des Spiegeltrinkers tragisch behaucht. Die Geburt der Liebestragödie aus dem Geist der Flasche zeugt noch ein anderes Wunder: Die Schauspieler Brigitte Soucek (Hera) und Gottfried Neuner (Clit) sprechen Timber-Trattnigs Text traumsicher aus allen Bauch- und Gemütslagen. Sie feiern nacheinander eine hormonelle Wohnzimmerschlacht, bestreiten als trautes, hoch eiliges Paar einen TV-Dauerwerbespot und feiern die blutige Geburt eines Teletubbies. Die heilige Familie taucht zurück in die Medienwelt. Und unter dem Dreck des televisionären Gärschlamms hat Timber-Trattnig nach der Wurzel aller Unschuld gesucht. Ein feiner, kleiner, schmutziger Schmonzes. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.1.2001, Ronald Pohl)