Die Wiener Staatsoper hat bewiesen, was seit 100 Jahren bekannt ist: Verdi ist tot. Die ersten drei Abende boten nach Peter Vujicas Meinung nicht nur ein theatralisches, sondern auch ein aufschlussreiches kulturpolitisches Sittenbild. Wien - Gustav Mahler hat während seiner zehnjährigen Amtszeit (1897-1907) als Direktor der Wiener Staatsoper angeblich nur 21 Verdi-Aufführungen dirigiert. Das ist gerade um eine weniger, als Ioan Holender seit Montag bis zu Giuseppe Verdis 100. Todestag am 27. dieses Monats aus dem Ärmel auf die Bühne zu schütteln sich anschickt. Es wäre natürlich sehr voreilig, daraus zu schließen, Mahler habe Verdi eben weniger gemocht als der amtierende Staatsopernchef. Es ist durchaus denkbar, dass Mahler möglicherweise aus Respekt vor seinem (in den ersten vier Jahren seiner Ära überdies noch lebenden) Kollegen die Aufführungen seiner Werke nicht aus dem Ärmel schüttelte, sondern erst nach ausreichenden Bühnen- und vor allem Orchesterproben zu präsentieren wagte. Mörderische Liebe Völlig absurd wäre es natürlich zu behaupten, Ioan Holender mag Verdi nicht, nur weil er nun in 20 Tagen zwölf seiner Opern auf den Spielplan setzt. Da kann durchaus Liebe und Begeisterung im Spiel sein. Und das von Richard Wagner in seinem Tristan ausführlich abgehandelte Faktum, dass Liebe töten kann, musste nun eben spät - und zum Glück posthum - auch sein italienischer Antipode erfahren. Der aus Stiffelio , Macbeth und Jérusalem bestehende Auftakt ergab jedenfalls ein grimmiges musiktheatralisches Triptychon. Es zeigt nicht nur den szenischen Todeskampf vor allem der beiden letztgenannten Produktionen, sondern mit schonungsloser Offenheit wohl auch die verheerenden künstlerischen Folgen einer seit Jahren von keinen anderen als merkantilen Überlegungen geleiteten Kulturpolitik. Budgettreue bedeutet offenbar den Zwang zur ästhetischen Höllenfahrt. Das Schlimme, dass solche Höllenfahrten durch ebendiesen Zwang auch ohne weiteres entschuldigt und als unvermeidbar hingenommen werden. Die ästhetische Contenance verkommt stetig, wenn auch im Schneckentempo und daher kaum merklich, in kollektiver Eintracht zwischen Ministerbüros, Staatssekretariaten, Direktionskanzlei und Publikum. Und dies übrigens nicht nur an der Staatsoper. Das Einverständnis dazu ist schon seit geraumer Zeit Bürgerpflicht. Auflehnung und Einwand gelten als uneinsichtige Provokation. Trotzdem sollen sie stattfinden. Und sogar der Aufschrei, eine Aufführung wie diesen Macbeth am vergangenen Dienstag dürfte es an der Wiener Staatsoper nicht geben, ist schon Ausdruck dieser unbewussten Herabgekommenheit. Eigentlich dürfte es auch so ein wirres, finsteres Gefummel wie in Jérusalem nicht geben. Zweifelhafte Ehren Zieht man auch noch in Betracht, dass dies alles angeblich zur höheren Ehre des toten Komponisten geschieht, dürfte ein solcher Stiffelio vom vergangenen Montag ja auch nur als unauffällige Repertoirevorstellung mit Renato Bruson als Aufputz in den Spielplan schlüpfen. Ein Dirigent, jetzt ist von Fabio Luisi die Rede, macht allein noch keinen Stiffelio und schon gar kein Jérusalem . Doch was passiert, wenn mit Arthur Fagen so gut wie kein Dirigent am Pult steht, darüber wurde man im Macbeth belehrt. Da klang alles plötzlich so, als säße auch kein Orchester im Graben und schon gar nicht die Wiener Philharmoniker. Nach einigen, beinah schon mutwillig klingenden distonatorischen Ausritten der Blechbläser hätte man da schon eher auf dröhnende Musensöhne aus dem ländlichen Raum getippt. Diesen unkultivierten Rummel im Orchestergraben muss man Maria Guleghina angesichts ihres letztlich nur mäßig geglückten Debüts in der Partie der Lady Macbeth zugute halten. Dass etwas mehr als insgesamt flach wirkender Schöngesang auch unter solch hindernden Umständen möglich ist, bewies immerhin Leo Nucci in der Titelpartie. Zum Nachteil von Dan Paul Dimitrescu als blasser Banquo und Keith Ikaia-Purdy als ziemlich kläglicher Macduff. (Dass diese Macbeth -Dekorationen von Carl Toms aus dem Jahr 1982 kein Geisterbahnbesitzer mehr in sein Etablissement ließe, sei nur am Rande bemerkt.) Alle bisher Erwähnten waren aber noch Stimmheroen verglichen mit Yu Chen, der in Jérusalem als Graf (kaum) zu hören war. Dagegen wirkte der als indisponiert entschuldigte Franz Hawlata beinah wie Fjodor Schaljapin. Persönliche musikalische Kontur entwickelte von Anfang an Eliane Coelhos Hélène, an der sich dann auch Giuseppe Sabbatini als Gaston hochrankte. Den kompaktesten Eindruck hinterließ zweifellos Stiffelio . Nicht nur, weil da die Philharmoniker auch, von Fabio Luisi kundig angeleitet, so manche instrumentationstechnische Delikatesse hörbar machten. Auch Renato Bruson lässt (sogar noch als rüstiger Fünfundsechziger) seiner Tochter Lina (Mara Zampieri) die väterliche Fürsorge mit so viel baritonalem Wohllaut zuteil werden, dass diese zu respektabler dramatischer Form findet, die auch der tenoralen Ausdauer Alberto Cupidos in der Titelpartie standhält. Doch wer glaubt, es ließe sich in einer der genannten Produktionen der Faden der Handlung aus den szenischen Aktionen entnehmen, der irrt. Einziges Fazit: Giuseppe Verdi ist vorderhand einmal so tot wie schon lange nicht. Bleibt zu hoffen, das sein allfälliges Erwachen in den nächsten 14 Tagen kein allzu böses wird. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 1. 2001)