Bregenz - Im kornmärktlichen Theater für Vorarlberg ist seit Mittwochabend eine in ihren ideologischen und ideellen Grundzügen jugendliche, völlig unverkrampfte, dabei keineswegs unschuldige Variante des Don Giovanni zu erleben. Christoph Eberle und dem tüchtigen Symphonieorchester Vorarlberg gehören die ersten düsteren, sehr illustrativ ausgeleuchteten Minuten, ehe ein spürbar neugieriges Premierenpublikum mit der deutenden Tätigkeit eines unserer Medienlieblinge konfrontiert wird. Es ist natürlich eine schwere Hypothek für eine Opernproduktion, wenn ein so genannter Quereinsteiger wie Tobias Moretti Regie führt. Alle Augen und womöglich sogar die internationalen Seitenblicke richten sich auf den sympathischen Schau- und Schlauspieler - und mit Skepsis möchte man ja zunächst zu bedenken geben, es müsse doch in unseren Tagen nicht jeder dritte Sänger dirigieren und schon gar nicht jeder vierte Krimi-Tragöde mit seinen Opernliebhabereien an die Öffentlichkeit gehen. Moretti allerdings - zumal als Erich-Urbanner-Schüler gleichsam halb gelernter Komponist und Tonsetzer - lässt schon nach wenigen Bewegungs- und Mimiksequenzen seiner jungen Sängerakteure wissen, wie uneigennützig er Mozarts und da Pontes Partitur der humanen Fehlleistungen gelesen, wie rücksichtsvoll und doch eigenwillig er in dieses Gesamtkunstwerk aus Wundern, Wunden und Verwundetsein hineingehorcht hat, um in letzter Konsequenz seinen Protagonisten freie Sicht auf des Unvergängliche im Musikalischen, im Menschlichen und im Symbolischen zu gestatten. Brutal und zärtlich In Morettis sehr, sehr sparsamen, ein wenig an unterbudgetierte Bühnenbildklasse erinnernden, freilich praktikablen Dekorationen entfaltet sich ein körperlich betontes, im Brutalen wie im Zärtlichen handgreifliches Widerspiel. Leporello (Andreas Jankowitsch) wird von Giovanni (Georg Nigl) nicht nur in gemeiner Selbstentlastung gestraft - nein, der weibstolle Selbstzerstörer trifft sein untergebenes Alter Ego durchaus zielsicher an der empfindlichsten Stelle ... Dies und vieles mehr, was man im klugen Detail ansonsten weder in Salzburg noch andernorts zum Thema Don Giovanni zu sehen - und auch nicht zu hören! - bekommt, ergibt sich aus den Vorgaben des Werkes, niemals ist es Rechthaberei oder gar ästhetischer Egoismus musikuntauglicher Regiediktatoren, wie sie heutzutage in beachtlich großer Anzahl die traditionelle Oper als Manövergelände rücksichtsloser Werkverzerrung missbrauchen.
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Natürlich gibt es bei Tobias Moretti einige Passagen, die der stärkeren Zeichnung bedürften, wie etwa die allesamt etwas beiläufig wirkenden Komtur-Szenen oder die musikalisch doch ein wenig verhetzt angelegte Champagner-Episode, die mir - wie auch die Höllenfahrt - viel blasser ausgearbeitet vorkommen als das an sich weniger spektakuläre Für und Gegen der handelnden Personen. Nigl in der Titelpartie, Jankowitsch als Leporello, sie sind Glücksfälle unverbrauchten, intelligenten Singens im völligen Einklang mit ihrer körperlichen Gegenwärtigkeit. Nicht anders verhält es sich bei den Damen der gehobenen Herkunft. Ute Gfrerer-Morgenstern (als Donna Elvira) und Sabina von Walther (als Donna Anna) bieten großartige vokale Leistungen ohne jede Koloraturennudelei, liedhaft im Ansatz, dramatisch ausgebaut mit Augen-und Kehlenmaß! Launige Garderobe Quirlig, aber ohne jede Übertreibung wechselt Letizia Scherrer als Zerlina die gesellschaftlichen Ebenen, tumb und hump gibt Taras Konoschenko den Masetto (und arbeitsteilig auch den Commendatore), in üblicher Gestelztheit und Statik der etwas schmal tenorierte César Gutiérrez den Masetto. Egon Strasser hat die launige Garderobe anfertigen lassen, in der sich auch der klein besetzte Chor (Wolfgang Schwendinger) zu Sang- und Tanz einfindet. Aus den Publikumsreaktionen mochte man heraushören, dass es die Gunst und auch die Bedeutung dieser drei Theaterstunden herausgehört und -geschaut hatte. Tobias Moretti und dereinst Mozarts Cosí - das könnte man sich nach diesem Operndebüt durchaus vorstellen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 2. 2001)