Wien - Am Theater, so heißt es sprichwörtlich, läuft die Premiere erst dann gut, wenn vorher manches schief ging. Und tatsächlich gab es im Odeon für Produktionsleiterin Anna-Maria Birnbauer nicht nur einen Grund, vors Publikum zu treten: Da war die technische Panne mit dem Projektor, die den Start verzögerte. Dann erkrankte auch noch der Countertenor. Es sprang der Australier Christopher Josey ein, der das Werk jedoch nur in Englisch beherrscht. So fügte es sich, dass die Titelfigur ihre Arien vom widersprüchlichen Sehnen nach Ruhm und Liebe, vom Verlust der Selbstkontrolle und auch die ariosen Dialogteile nicht in der gleichen Sprache sang wie die anderen vier Beteiligten. Nach kurzem Einhören in die affektgeladene Musik für Orlandos Rolle als zerrissener Held erwies sich dies indes als vorteilhaft. Mit sehr gut ausbalancierter Kopf- und Bruststimme, ohne Flattern und ohne Druck sorgte er für eine individuelle Rollengestaltung, fiel nach Schwüren, Zornesausbrüchen und Erklärungen schließlich in rot angestrahlten Wahn - er hatte gehört, dass seine angebetete Prinzessin Angelica dem Fürsten Medoro ihre Hand versprach. Doch keine Bange: Durch das Eingreifen des Zauberers Zoroastro kam er wieder zur Besinnung, und wird seinerseits von der Schäferin Dorinda geliebt. Dass zeitlose Psychodrama hat Huw Rhys James mit dem Ensemble Musica Poetica inspirierend musiziert. In die gleiche Richtung ging die Regie von John Lloyd Davies. Für die Musiker, auch für die Solisten war der Odeon-Saal gut gewählt: Der Sopran von Ingrid Habermann trug weit und leuchtete, Annely Peebo war mit einem sehr weiblichen Mezzo zu hören, Katerina Beranova gab eine kesse Dorinda. Und Reinhard Mayr (als Zoroastro) bestach schließlich durch ein für einen Bass ungewöhnliches Farbspektrum und seine durchwegs kultivierte Stimmführung. Kurzum: Orlando , in dieser neuen Musikwerkstatt -Version, kann als Beweis für die Modernität und psychologische Tiefe des historischen Theaters gelten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 2. 2001)