Hamburg - Eigentlich kein Fall für den Kritiker: eher für den passionierten Statistiker, dem sich alle Theaterrätsel in Zahlen offenbaren. Der sich beim Unterfangen, Arthur Schnitzlers Reigen von zehn Regisseuren inszenieren zu lassen, jenseits des kalkulierenden Schielens auf den öffentlichen Effekt vielleicht an der aufgegangenen Gleichung: zehn Figuren = zehn Dialoge = zehn Regisseure begeistern könnte. Für den Statistiker eine ziemlich runde Sache. Wobei die Behauptung von Tom Strombergs arg gebeuteltem Hamburger Schauspielhaus, hier seien zehn Regisseure am Werk, eine g'schamige Untertreibung ist. Allein beim Tête-à-tête von Stubenmädchen und jungem Herrn haben sieben Damen (nennen sich She She Pop ) und fünf Herren (tragen das Etikett showcase beat le mot ) ihre Inszenierungsfinger drin. Blieben von den 84 Sätzen des Dialogs sieben Stück pro Regie-Kopf, wenn sie denn geblieben wären. Doch der jugendliche Eifer des Regiegefechts artete zum Textmassaker aus, das ein paar slawische Zischlaute überlebt haben. Und die Szenenanweisungen aus dem Off. Dieser angestrengte, am End' auch anstrengende Paarungsreigen befleißigt sich darin, den Kanal vollzustopfen. Bisweilen sinkt der Pegel auf die Tiefe eines Propädeutikums in Sexualsymbolik der Sorte "Freud für Ahnungslose". Der Soldat hat dafür Nietzsche gelesen, aber nicht verstanden: Du gehst zum Weibe, vergiss das Gewehr nicht. Nun verschießt er sein Pulver mit aufgerichteter MP, ehe ihn die Dirne kobert. So bleibt für Schnitzlers Gedankenstriche bloß Gebrüll. Der junge Herr hingegen ließe es nur zu gerne saftig knallen beim Rendezvous mit der verheirateten Frau, doch dem Potenzschwächling tröpfelt der Champagnerkorken erbarmungswürdig schlaff aus dem erigierten Flaschenhals. Viviane De Muynck inszeniert diese Szene ganz leicht und geistreich als vollzogenen Umtausch der Geschlechterrollen. Hier sammelt kein vorehelicher Jäger exquisite erotische Beute, hier führt die emanzipierte Frau den sexuell überforderten Jungspund als Schoßhündchen für gewisse Stunden an der Leine ihres ehelichen Unglücks. Ihr Ehegatte hat sich als betrogener Betrüger den geänderten Verhältnissen auf seine Weise angepasst: Er regelt per Kontrakt den Verkehr mit dem blonden Girlie, das einst ein süßes Mädel war. Auch die sehr junge Regisseurin Friederike Heller legt mit der Schnitzler-Schere forsch Hand an die alten Zöpfe einer Männermoral, die den Frauen mit dem gesellschaftlichen Tod für etwas drohte, was sie von den Männern als Ausweis ihrer Virilität geradezu forderte. Noch besitzt Heller nicht die Frechheit von Kollegin De Muynck - aber immerhin. Aber gegen die geradezu altjüngferlich klamme Erotik der inszenierenden jungen Männer kommt selbst die mit einem transparenten schwarzen Nichts kaum verhüllte Ilse Ritter als Schnitzlers Schauspielerin auf Dauer nicht an. Zwei ins Töpfchen, acht ins Kröpfchen - soweit die Statistik. Der bedrängte Tom Stromberg hat mit diesem "Experiment" viel Aufmerksamkeit geweckt, künstlerisch tritt er nach wie vor auf der unbefriedigenden Stelle. Seine Jugend trainiert für den Olymp; bei einigen scheint es sehr ungewiss, ob sie ihn je betreten werden. Noch zehren Strombergs Aktien von den besseren Aussichten, die er verspricht. Doch irgendwann wird Bilanz gezogen. Ein Blick auf die New Economy wird ihn lehren, was dann passieren kann. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25. 2. 2001)