STANDARD: Ursprünglich hätten Sie zum jetzigen Zeitpunkt den Tartuffe inszenieren sollen. Warum wurde daraus Büchners Leonce und Lena ? Bechtolf: Weil ich im Wege der Vorbereitung gemerkt habe, dass ich mit dem Tartuffe nicht zurande komme! S TANDARD: Da denkt man: mein Gott, lauter Heuchler! Wie gut passt das als Kommentar zur Lage in Österreich! Bechtolf: Und das genau nervt mich daran. Es ist zu einfach. Dieser grauenhafte Commonsense gegen die katholische Kirche und gegen die Heuchelei ist von gestern. Der Commonsense existiert ja bereits und muss nicht mehr hergestellt werden. Im Gegenteil: Etwas mehr Spiritualität würde unserer Gesellschaft gar nicht schaden. S TANDARD: Büchner hatte sein "Lustspiel" ja für einen Dramenwettbewerb geschrieben. In der Zeitnot hat er auf ein höchst modernes Verfahren zurückgegriffen: auf die Montage altbekannter Textstellen, von Shakespeare aufwärts. Wie geht man mit so einem Wechselbalg heute um? Bechtolf: Das ist ein reines Zitatwerk. Und er verfolgt ein hochgespanntes Ziel damit: ein "romantisches" antiromantisches Stück zu schreiben. Er bewegt sich auf der Schnittlinie der spätromantischen Auswüchse und des atheistischen Nihilismus. Seine Braut hat ihn später dafür gehasst und lange nach seinem Tod sogar seine Manuskripte verbrannt. Er ist, glaube ich, auch nicht ganz fertig geworden. Entstanden ist jedenfalls ein merkwürdig verwachsenes Kind: so ein kleiner Zwerg Nase, ein Krüppelchen, halb mit Vitriol und halb mit Honig gefüllt. S TANDARD: "Die Kategorien sind in der schändlichsten Verwirrung", sagt der vertrottelte König Peter vom Reiche Popo. Was heißt das heute? Da schimmern ja Kant und Hegel durch. Das waren doch die Fortschrittsphilosophen, damals, zu Büchners Zeiten. Bechtolf: Das ist Ironie auf die Cartesianer. Büchner war zwar selber zutiefst von der Maschinenhaftigkeit und der Determiniertheit des Menschen überzeugt. Er macht sich aber über die deduktive Methode lustig: Wo soll denn die Seele sitzen, fragt er. In der Zirbeldrüse? Wenn ich das Stück zusammenfassen müsste: Das Ganze ist der Diminutiv von Tod - ein Tödchen. S TANDARD: Heute plagen uns aber nicht mehr der Überdruss und die Tücken der Langeweile, von denen Prinz Leonce überfallen wird. Sondern wir arbeiten nimmermüde für Zwecke und Interessen, die meistens nicht die unseren sind. Die Maschine Markt funktioniert doch, oder? Bechtolf: Stimmt. Heute definiere ich mich darüber, was ich tue, und das hält mich und das System zusammen. Das heißt freilich nicht, dass Identität dieser Tage ein besonders kostbares Gut wäre! Im Gegenteil. Jede Form von Identität braucht ein "Du", im besten Fall einen Staat, im schlechtesten Fall eine Moral, eine Religion, was weiß ich. Büchner erzählt ein Märchen und nimmt eine Komponente aus: Gott. Was passiert dann? Wie konstituieren die Menschen sich? Man könnte letztlich sagen: Leonce bildet seine Persönlichkeit aus. Und das haut nicht hin. S TANDARD: Krampfhafte Aktualisierung ist Ihre Sache nicht. Überhaupt fährt der Burgtheater-Dampfer ohne gröberes Schlingern auf Luxuskurs. Hält man sich mit politischen Kommentierungen absichtlich nobel zurück? Bechtolf: Glaube ich überhaupt nicht. Wenn Sie sich an Fiesco erinnern oder Glaube und Heimat. Dass das nicht im Hauruck-Verfahren passiert, finde ich eher angenehm. Das Flache, Plakative ist doch wohlfeil. Man hat bereits eine Öffentlichkeit; warum soll man eine Zusatzöffentlichkeit schaffen? Da gibt es die Herrschaften, die diese Stücke geschrieben haben. Und je intimer die Einlassung, desto größer wird der Ekel vor "Ideen". S TANDARD: In Wien haben Sie ja schon andere schöne Erfahrungen gesammelt. Sie wurden von einem Buntmagazin zum Josefstadt-Direktor vorsorglich ausgerufen . . . Bechtolf: Erst ärgert man sich über die hochgekochte Sache, dann vergisst man es wieder und stürzt sich in die Arbeit. Ich treib' mich ja nicht bei den Adabeis herum oder sitz' dem Bürgermeister auf dem Schoß. S TANDARD: Wie kommt es zu so etwas? Haben Sie sich öfter als schicklich im Josefstadt-Theater blicken lassen? Bechtolf: Ach was, das hat sich der Betreffende ausgedacht. S TANDARD: Haben Sie stille Verehrer? Bechtolf: Nein: Mich hat es geärgert, weil es instrumentalisiert worden ist. Da liegt auch der springende Punkt: Der, den man gerne hätte, braucht Konkurrenz. Sonst ist es ja fade. Also muss man irgendwelche Leute ins Gerede bringen und kann sie bei der Gelegenheit auch noch wunderbar ein bisschen ohrfeigen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6. 3. 2001)