Wien - Not macht, wie man so sagt, erfinderisch. Das war schon im alten Babylon so, wo sich Pyramus und Thisbe, in Liebe zueinander entbrannte Sprösslinge zerstrittener Eltern, Zeit und Ort für ihr heimliches Rendezvous durch eine Mauerritze zuflüstern.

Und auch heute macht Not noch erfinderisch. Da man Johann Adolph Hasses "intermezzo tragico" Piramo e Tisbe nicht mit großem Aplomb etwa auf Schloss Laxenburg spielen kann, wo das Werk einst, im Jahr 1768, uraufgeführt wurde, tut man dies nicht gerade in einer Ritze, sondern in einer vielbeachteten musiktheatralischen Nische, zu der sich das Wiener Schauspielhaus in erstaunlich kurzer Zeit entwickelt hat.

Souveräne Töne

Da darf man sich also nicht wundern, dass dieses Spätexemplar der guten alten Opera seria nun als Opera povera daherkommt. So verfrachtet Regisseur Philipp Harnoncourt die beiden - übrigens in Stil und Intonation gleich souverän singenden - jungen Liebenden (Elisabeth von Magnus als Piramo und Silvia Weiss als Tisbe) in ein Sparherdzimmer.

Beim Teekochen muss "Tisbchen" dann die tyrannischen Einschüchterungen ihres Papas über sich ergehen lassen, die Bernhard Bechtold ebenfalls mit makelloser Tenorkultur vorzutragen weiß. Warum allerdings inmitten dieser Tristesse die Musiker der Wiener Akademie im Frack dasitzen, erschließt sich dem Betrachter schon weniger, zumal ihr Dirigent Simon Schouten, weiß geschminkt, im ebenfalls weißen Zweireiher agiert. Seine impulsive, auf den Taktstock verzichtende Zeichengebung verrät, dass er sich wohl Nikolaus Harnoncourt zum Vorbild genommen hat - allerdings, ohne in der Wirkung auch nur annähernd dessen Intensitätsgrade erzielen zu können.

Theater-Poesie

Da verströmt zweifellos der zweite Teil insgesamt schon mehr theatralische Poesie. Das macht zum einen die Andeutung des Maulbeerbaumes, unter dem die beiden Unglückskinder zu Tode kommen. Das macht aber zum anderen auch der dezente Witz, mit dem der Regisseur den Flötisten die Rolle des Löwen spielen lässt, vor dem Tisbe davonrennt.

Verhängnisvollerweise wischt er sich seine von einer defensiven Ohrfeige Tisbes blutende Nase mit dem Schleier ab, den sie dabei verlor. Nach dieser hübschen inszenatorischen Arabeske kann das Unglück seinen Lauf nehmen: Piramo hält den blutigen Schleier für ein Indiz für Tisbes Tod und ersticht sich. Als Tisbe aus ihrem Versteck zurückkehrt, tut sie dasselbe.

Und die Wiener Akademie spielt dazu. Zum Schluss mit schellenden Tamburinen, in deren Takt das Publikum applaudiert. Und jenes des styriarte- Festivals in Graz wird es diesen oder nächsten Sommer wohl nicht anders machen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10./11. 3. 2001)