Die Übertragbarkeit von matriarchalen Strukturen auf unsere heutigen patriarchalen Gesellschaften stand im Mittelpunkt des Vortrages der bekannten Matriarchatsforscherin und Philosophin Heide Göttner-Abendroth, die am Donnerstag im Frauen- und Kommunikationszentrum "ega" zum Thema "Sind Matriarchate eine Alternative? Was lernen wir aus Matriarchaten?" referierte. Um das Wissen über matriarchale Gesellschaften heute nutzbar zu machen, sei es jedoch nötig, die (prä-)historischen als auch die gegenwärtig existierenden matriarchalen Inhalte zu übersetzen. D.h., das Wissen um matriarchale Gesellschaften kann reiche Anregungen für Problemlösungen geben, „denn es ist für uns ein unverzichtbares Friedens- und Zukunftswissen“. Wie sehen matriarchale Strukturen aus? Göttner-Abendroth definiert Matriarchate als herrschaftsfreie, egalitäre Gesellschaften, die in allen Strukturen, sowohl in Sozialordnung und Spiritualität als auch im politisch-ökonomischen Bereich jenen des Patriarchats entgegengesetzt sind. Egalitär insofern, als sie auf einer nicht-hierarchischen und gewaltlosen Verwandtschaftsgesellschaft und Ausgleichsökonomie basieren. Frauen werden zwar aufgrund ihrer Gebärfähigkeit als Lebensgeberinnen geehrt, jedoch wird auch der generative Anteil der Männer anerkannt. Matristische Sozialordnung Da Vaterschaft nie sicher sein kann, setzt sich der matriarchale Clan aus Verwandten der Mutterlinie zusammen. Während Mütter mit ihren Kindern in einem Sippenhaus wohnen, leben die Männer in ihrem eigenen Mutterclan. Diese Regelung ist der patriarchalen Eheidee auch insoferne entgegengesetzt, als geschlechtliche Beziehungen durch gegenseitige Besuche der Liebsten stattfinden und nur solange dauern, als die Liebe währt. Ein Konzept, in dem Besitzdenken keinen Platz hat, da auch finanzielle Abhängigkeiten nicht existieren. Genauso wenig gelten die Kinder als „Besitz“ einer Mutter, sondern „gehören“ allen Clanmitgliedern, die sich gemeinsam ihrer Erziehung annehmen. Dadurch fällt zum einen die typisch patriarchale geschlechtsspezifiische Arbeitsteilung weg, zum anderen ist die Frau weder bei der Kindererziehung isoliert, noch doppel- und dreifachbelastet. Matriarchale Spiritualität Die in patriarchalen Religionen übliche Trennung von Profanem und Sakralem ist matriarchalen Gesellschaften fremd. Denn "die Göttin ist die Welt und alles Leben ist göttlich". Der Gedanke des weiblich Göttlichen entspringt der Ursprungsidee, dass alles aus dem Weiblichen hervorgeht. So wie „Mutter Erde“ alles hervorbringt, sind Frauen die Lebensspenderinnen und zum Großteil auch die Lebensmittelbereitstellerinnen. Ausgleichsökonomie – prosoziales Verhalten Nicht Akkumulation, sondern Ausgleich lautet das ökonomische Prinzip matriarchaler Gesellschaften. Die sippenälteste Frau verwaltet und verteilt die Ressourcen, den sogenannten „Clanschatz“, gleichmäßig und gerecht an alle Mitglieder. Göttner-Abendroth umschreibt dieses Prinzip mit der „Ökonomie der Feste“: Ein Clan, der einen reichen Ernteertrag erwirtschaftet hat, organisiert ein Fest, zu dem alle eingeladen sind. D.h. die, die gerade viel haben, geben und jene, die wenig haben, nehmen. Dabei kommt dem gerade wohlhabenden und gebendem Clan Ehre und nicht Profit zuteil. Ein wechselnder Kreislauf, der dazu führt, dass laufend üppige Feste gefeiert werden. Es ist ein Hilfssystem, das ganz selbstverständlich ist und mit der Verwandtschaftsstruktur zusammenhängt. Da alle irgendwie als verwandt gelten, helfen sie einander. Auch hinter diesem Prinzip steht „Mütterlichkeit als schenkende Haltung“, in der Reichtumsanhäufung ausgeschlossen ist. Konsensprinzip Da es keine Macht einiger weniger über viele gibt, bestehen auch keine Minderheiten. Denn Macht wird unter allen Clan- und Sippenmitgliedern ab 13 Jahren (nach der Initiation) aufgeteilt und Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen. Es wird so lange diskutiert, bis ein einstimmiger Konsens gefunden ist, ausgehend vom Clanhaus auch in allen größeren Gemeinschaften, wobei keine übergeordnete, hierarchische Organisation besteht. Dieser Prozess der Entscheidungsfindung dauert oft nicht länger als 10 Tage, wie Göttner-Abendroth selbst bei ihren Forschungsreisen in verschiedene matrizentrische Gesellschaften beobachten konnte. Wie Frauen matriarchale Strukturen übernehmen können Als konkreten Lösungsansatz für das altbekannte Dilemma der Frauen, Mutterschaft und Beruf zu vereinbaren, nannte Göttner-Abendroth die Gründung eines Wahlverwandtenclans. Ob das durch Zusammenleben mehrerer Personen mit Kindern in größeren Häusern/Wohnungen stattfinde, spiele keine Rolle. Wichtig und wirksam sei die Vernetzung und gegenseitige Unterstützung von Frauen, wobei auch Männer willkommen seien. In Institutionen könne – über den Job hinaus - dasselbe Prinzip angewendet werden. Es gehe darum, die – speziell in Europa abhanden gekommene - Frauensolidarität wieder herzustellen. Mit dieser Idee verbindet sie auch die ökonomische Frage. Ganz nach dem Motto des matriarchalen Hilfswerkes könne im Wahlverwandtschaftsclan das Prinzip „Wer hat, die/der gibt“ realisiert werden. Das dadurch erzeugte Vertrauen auf Hilfe führe dann schnell zum Konsensprinzip. Frauen sollten mit ihren Schwierigkeiten nicht länger auf die Politik vertrauen, sondern gemeinsam und solidarisch aktiv werden. Da sie die Kennerinnen ihrer Probleme sind, müsse die Problemlösung „von unten“ kommen. (dabu)