US-Dramatiker David Mamet hat mit "Die Schwestern von Boston" ein merkwürdig faszinierendes Stück geschrieben, das an Genets "Zofen" erinnert - und in Köln an seiner deutschen Übersetzung bitter leidet. Köln - Die Schwestern von Boston ist der deutsche Titel des neuen Stück des amerikanischen Erfolgsdramatikers David Mamet, welcher in der Übersetzung nicht von ungefähr an Henry James' 1885 erschienenes Frühwerk Die Damen aus Boston ( The Bostonians ) erinnert. Zwar enthält das Stück keine exakte Zeitangabe, doch die gedrechselte, prononciert betuliche Sprache, die Mamet im Englischen verwendet, siedelt das Stück wie von ungefähr im Neuengland des viktorianischen Zeitalters an, somit etwa in der Zeit und in der Umgebung, in der auch James' Roman entstand.

Variationen auf Henry James

Auch thematisch kann man Mamets Stück durchaus als eine Reihe von Variationen auf die überhitzten, homoerotischen Gefühlswallungen von James' Frauenfiguren verstehen. Boston Marriage, der Originaltitel des Stücks, verweist denn auch auf die damals gebräuchliche, höchst euphemistische Bezeichnung einer eheähnlichen Liebesbeziehung unter gebildeten Frauen.

Nach dem Ende ihrer Beziehung hat sich Anna einen verheirateten Liebhaber zugelegt, der sie neu eingerichtet hat und, wie es sein Stand verlangt, großzügig aushält. Die jüngere Claire hingegen, die sich zu Besuch bei ihrer alten Lebensgefährtin einfindet, hat eine Affäre mit einer jungen Frau - wie sich bald herausstellt, ausgerechnet der Tochter von Annas Liebhaber.

Doch diese Verwicklungen geben in Mamets Drei-Frauen-Stück nur die äußeren Impulse für das Verführungsspiel, das Anna entwickelt, um die immer noch geliebte und begehrte Claire für sich zurückzugewinnen.

Katalysator, zwischendurch auch Projektionsfigur für die beiden gemeinsam einsamen Frauen ist das etwas derbe Dienstmädchen Catherine, die Anna bei diversen Namen ruft, als gälte es, ihre Identität zu verneinen.

Aus den kontinuierlichen Sprachspielen der beiden Hauptfiguren entwickelt sich auch die eigentliche Dynamik des Stücks, dahinter verstecken und offenbaren sich die Frauen zugleich. Man kann die Dialoge als geistvolles Gerede um des Redens willens verstehen; man kann daran den Stand des unterschwelligen Kräftemessens der beiden Frauen ablesen.

Doch Mamets sprachlicher Zugriff ist natürlich auch strukturell orientiert, er lässt seine Figuren zugleich sprachlich zwischen den Zeiten changieren: Denn der Sprachwitz verweist einerseits auf Oscar Wilde oder die Restaurationskomödien des William Congreve, ganz so, als wollte er seinem englischen Kollegen Tom Stoppard Konkurrenz machen.

Andererseits sprengt Mamet die viktorianischen Worthülsen mit seiner saftigen Umgangssprache immer wieder auf. So gelingt es ihm, mit seinem intelligenten, sprachformalen Spiel die Risse im Selbstbild der Figuren aufzuzeigen, die in ihrem fortgeschrittenen Alter merken, wie ihr Wert auf dem Markt der Eitelkeiten im Fallen begriffen ist. Nun suchen sie Halt im Sexus, allgemeiner: im und am anderen.

Ein solch leichtgewichtiges, fragiles Sprachstück bedarf selbstverständlich einer kongenialen Übersetzung, die gerade die zeitlichen und stilistischen Brüche in der Sprache aufzeigt. Insoweit ist der ansonsten bewährte Mamet-Übersetzer Bernd Samland schlicht gescheitert.

Die betuliche Damensprache

Kennt man das Original, lassen sich zwar die Passagen von betulicher Altdamensprache und ordinärer Alltagssprache zurückverfolgen, doch geht die historische Grundierung des Stückes restlos verloren: Es wirkt ort-und zeitlos, aufgrund der undifferenzierten Direktheit von Samlands Übertragung erscheint das Stück plötzlich eher wie die schaumgebremste Sparversion eines wechselseitigen Unterwerfungsspiels im Stile von Genets Zofen.

Insoweit ist auch die Problematik der deutschsprachigen Erstaufführung am Kölner Schauspielhaus durch Torsten Fischer umrissen: Die Ausstatter Darko Petrovic und Herbert Schäfer haben ein neues, stoffbezogenes Portal in das Theater gebaut. Herbstliches Laub bedeckt die Bühne. Nicole Heesters als elegante Anna versieht manches Wortspiel mit einer kleinen, melancholischen Träne und zaubert so unvermutet die eine oder andere simpel lebensweise, geradezu jüdisch anmutende Pointe aus dem Text hervor.

Susanne Barths Claire behauptet dagegen mit dem Mut der Selbstverzweiflung ihre schwindende Sinnlichkeit, vital, ordinär, auch verunsichert. Doch bleibt der Ton der Aufführung allzu sehr der deutschen Vorlage verpflichtet, also offen und hart: Es wird alles gesagt, nichts verbleibt absichtsvoll in der Schwebe.

Diese Figuren haben keine Geheimnisse, aus denen Brüche resultieren könnten, die sich im amerikanischen Original schon aus Mamets Sprache ergeben. Das hätte die Regie durch eine schärfere Zeichnung der Figuren jenseits der Sprache kompensieren müssen. So aber bleibt in Köln von Mamet nur eine kleine, politisch unkorrekte Farce über die Würdelosigkeit des Alterns übrig; eine differenzierte Aufführung aber dürfte diesen Aspekt des Stückes nur zum Ausgangspunkt nehmen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29. 5. 2001)