Wolfgang Schaufler berichtet aus Schwarzenberg, wo das exklusive Festival zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist. "Ein Blick auf das Trio von Schubert - und das erbärmliche Menschentreiben flieht zurück, und die Welt glänzt wieder frisch", schwärmte Robert Schumann. Das Zitat wirkt wie auf die Schubertiade gemünzt. Nach einem Nomadentum, das Schubert alle Ehre macht, hat sich das Festival nun im entlegenen Bregenzer Wald angesiedelt: abseits der Festivalroute zwischen Bayreuth, Bregenz und Salzburg. Wer künftig konzentrierten Schubert will, muss über den Berg in die kleine Gemeinde Schwarzenberg (1700 Einwohner), deren Bekanntheit sich bislang der großen Barockmalerin Angelika Kauffmann verdankte, die hier aufwuchs. In der Dorfkirche finden sich das farbintensive, aus Rom importierte Hochaltarbild sowie Apostelfresken. Der Ort wirkt mit seinen historischen, in Schindeln aus Lärchenholz verpackten Häuschen wie eine begehbare Postkarte. Das steht Innovationen jedoch nicht im Weg. Der ehemalige Dorfsaal wurde in den letzten Jahren sukzessive für musikalische Landpartien adaptiert. Zu Beginn der Schubertiade präsentierte man nun stolz den großen Umbau. Der Saal wurde um acht Meter verlängert, die Kapazität auf 580 Sitze erhöht. Man hat einen grandiosen Blick auf saftige Wiesen und die Bergwelt. Die Kosten betrugen 42 Millionen Schilling, wovon die Gemeinde stolze 18 Millionen übernahm. Das soll sich nun rechnen. In Feldkirch, das die Schubertiade zuletzt beherbergte, war der von Geschäftsführer Gerd Nachbauer autonom vorangetriebene Umzug jedenfalls ein veritabler Schock. Anfang Juli will man mit einer kleinen Konzertreihe (Thomas Hengelbrock dirigiert) den Einbruch auffangen. Entgegen mancher Unkenrufe sind die Konzerte in Schwarzenberg jedoch voll. Problematisch ist lediglich der "Konzertsaal" in Bezau, wo kleinere Orchester (etwa die Camerata Salzburg) und "Publikumsmagneten" auftreten. Die notdürftig adaptierte Tennishalle hat unfreiwilliges Musikantenstadl-Flair und erfüllt noch eine dritte Funktion, wie der Bariton Thomas Quasthoff bei seinem umjubelten Konzert süffisant anmerkte: jene einer Sauna.
Keine Experimente
Das gewohnt betagte Publikum nimmt dies großteils hin. Zwar haben einige ob des neuen Standortes erbost dem Festival die Treue gekündigt. Zumeist obsiegte aber die Liebe zu Schubert. Das musikalische Angebot ist zwar deutlich schlanker, blieb aber exklusiv. Man geht zurück zu den Wurzeln, bietet vor allem Liederabende und Kammermusik. Der Werkstatt-Charakter der Schubertiade (Nikolaus Harnoncourt dirigierte hier erstmals Schubert und Beethoven) jedenfalls ist passé. Unverändert die ästhetische Ausrichtung. Als das Alban-Berg-Quartett in seinem Konzert auch das sechste Quartett Béla Bartóks aufführte, war damit das Ende der Fahnenstange auch schon ausgelotet. Man erwartet Schubert pur, so wie im anschließenden Streichquintett C-Dur (mit Heinrich Schiff) und will in seinen vorgefassten Meinungen über musikalische Hackordnungen nicht irritiert werden. Andererseits läuft man hier (abgesehen von pfeifenden Hörgeräten) nie Gefahr, von akustischem Elektromüll aus musikalischen Träumen gerissen zu werden. Ein konservatives Publikum hat auch seine positiven Seiten. Im Falle von Elisabeth Schwarzkopf geriet es sich gar in die Haare. Die Jahrhundert-Sängerin attackierte in ihrem Meisterkurs die jungen Studenten arg persönlich. Das hatte Protest aus der Zuhörerschaft zur Folge. Schwarzkopf reiste ab. Selten hat jemand so hart an der Zerstörung seines Rufes gearbeitet. Der Repertoirerahmen ist eng. Innerhalb dieses Werkkorsetts finden sich dann aber die unterschiedlichsten Schubert-Lesarten. Zumeist von hoher Qualität. Etwa der verinnerlichte, klangorientierte Zugang des Pianisten Christian Zacharias ( G-Dur-Sonate, D 894 ). Oder der textintensive Bariton Roman Trekel, der für Matthias Goerne einsprang. Problematischer hingegen die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova, die dem Irrtum aufsaß, dass ein dynamisch zurückgenommener Operngesang ideal für das Lied sei. Dem virtuosen Trio Jean Paul (u. a. mit dem Es-Dur-Trio ) wünschte man hingegen etwas größere Risikofreudigkeit. Blieb als Höhepunkt Thomas Quasthoff (mit Schumann, Loewe, Brahms), der Kraft und Volumen seiner Stimme nie als Selbstzweck verstand, sondern stets zur emotionalen Beglaubigung der Inhalte einsetzte. Wenn er im Herbst wiederkommt, muss er allerdings gegen die Kuhglocken ansingen. Denn dann ist Almabtrieb.