Salzburg - "Die Nichtbetätigung der Geschlechtsorgane führt, wie die Psychoanalytiker sagen, oft zu einer Regression der Alterssexualität ins Oral- oder Analstadium. Tatsächlich sind manche Greise maßlos im Essen; wahrscheinlich, um ihre erotische Frustration zu kompensieren, geben sie sich wie besessen der Lust am Essen hin. Aber kann man diese als sexuell bedingt bezeichnen?" Hier endet der im Programmheft abgedruckte Text von Simone de Beauvoir, und hier beginnt Falstaff zu antworten. Nein, alles Unsinn! Eros und Eierspeis, Sex und Schnitzel sind ihm Verwandte. Zwar ist er ein "Schlabberissimo", aber das Fressen ist ihm doch nur ein Kapitel in seinem dicken Buch des Hedonismus. Es geht um Leben an sich, das er als unablässige Einnahme von Genuss definiert. Kompensation? Nein! Er ist ein Lebensvielfraß, der sich seinen Wanst schon früh antrainiert haben muss. Natürlich hat der Inhaber eines Dreifachkinns schon flottere Tage gesehen. Ja, die Schwerkraft Er ist im großen Festspielhaus aber doch ein wilder Fast-Opa des 19. Jahrhunderts mit Glatze, der, umgarnt von Stellwänden, gerne in den Nasen seiner Diener bohrt. Aus pädagogisch-strafenden Gründen. Klar: In seinem Holzhäuschen kommt er kaum aus dem Sessel. Eine behäbige Kunstfigur im Kampf gegen die Schwerkraft, die es auf ihren Wanst abgesehen hat. Falstaff wird aber lyrisch, wenn es um Speisen geht, und zweifellos schlummert in ihm noch ein juveniler Drang zur Damenwelt. Huch, ehe sich's die Dame versieht, sind ihre Beine schon gespreizt, und Falstaffs Hand ist am Hosentürl - gottlob kommt da jemand herein. Aber noch sind die Hormone nicht in Pension. Zumindest diese Erkenntnis darf man aus der von den Osterfestspielen übernommenen Produktion ziehen, die sich bieder und dekorativ gibt. Und als wäre sie nur für Bryn Terfel ersonnen worden. Regisseur Declan Donnellan rollt den Inszenierungsteppich aus, auf dem der facettenreiche Walisische Bass zum grandiosen Sophisten in eigener Sache wird. Er ist zart, melancholisch, resignativ, aber nur, um sogleich wieder auszuholen - zu einem schlitzohrigen Monolog der Lebensgier, der schließlich in ein Festmahl mündet. An einem Schmaustisch, der so lang ist wie die Bühne breit. Sie alle, die da um ihn herum sitzen, sind ein solider Teil dieser derben Spaßstunde: Carmela Remigio als sehr eindringliche Alice, die soliden Larissa Diadkova (als Quickly) und Stella Doufexis (als Meg) wie auch die lyrisch glänzende Heidi Grant Murphy (als Nannetta). Zweifellos ist aber Dwayne Croft (als Mr. Ford) nur stimmlich auf dem Niveau von Terfel. Gediegen Massimo Giordano als Fenton. Die Wiener Philharmoniker erwecken Verdis Klänge mit Routine. Lorin Maazel schätzt aber deftige Akzente, was die Klangdominanz zuweilen sehr in Richtung Blech verlagert. Es ist jedoch nicht alles imposant, was laut ist. Es macht jedoch Effekt. Und ein solcher wird in Salzburg mit Ovationen zugedeckt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 7. 2001)