Baden-Baden - Ein Tisch, ein paar Kaffeehausstühle. Im dritten Akt mit weißem Tuch verdeckt, ist er, der Felsberg der Walküren. Im St. Petersburger Ring des Nibelungen , in der Walküre, ist die Bühne einfach gehalten, das Geschehen fast nur durch Lichteffekte bebildert, wobei selbst Symbole zu einer Art Verkehrszeichen profaniert erscheinen: ein Ampelmännchen, ein rot durchstrichener Kreis. Jedes vor allem kriegerische Pathos, aber auch allen interpretatorischen Schutt wollte man abtragen, schließlich ist der St. Petersburger Ring der erste nach dem Zweiten Weltkrieg im Mariinsky-Theater. Einblick in den russischen Ring konnte man nun auch bei den Mariinsky-Festspielen im Festspielhaus Baden-Baden gewinnen, einem ausschließlich privat finanzierten Opernhaus. Begonnen hatte das Festspielhaus-Projekt in der Casinostadt Baden-Baden 1988 freilich mit einem Desaster. Schon nach drei Monaten war man bankrott. Und als man dann unter dem neuen Festspielintendanten Andreas Mölich-Zebhauser und mit dem St. Petesburger Mariinsky-Theater unter Valery Gergiev einen Neubeginn versuchte, hätte man wohl kaum an den Spieltisch zurückkehren können, wäre nicht der US-Mäzen Alberto Vilar mit sehr viel Geld eingesprungen. Eintrittskarten musste man damals verschenken. Inzwischen aber scheint das Festspielhaus schon bald schwarze Zahlen zu schreiben und die Mariinsky-Truppe in Baden-Baden geradezu eine Filiale zu haben. Sie ist nun schon zum vierten Mal hier. So kann man hier kontinuierlich den Anpassungsprozess eines russischen Theaters an den internationalen Opernbetrieb verfolgen. Die Produktionen, die im August beim vierten Mariinsky-Festival gezeigt wurden, konnten unterschiedlicher nicht sein. Sie reichen von den extremen Reduktionen der Walküre bis zu den opulenten Bühnenaufbauten bei Othello (Regisseur: Juri Alexandrov). Im Zentrum des Festivals aber steht der Dirigent. Karajans russischer Musterschüler Valery Gergiev zeigt nicht nur in vier Produktionen in fünf Tagen Unermüdlichkeit (auch Salome und Macbeth ). Er ist auch für Überraschungen gut. Hatte Gergiev kürzlich in Salzburg Schostakowitschs Lady Macbeth von Minsk dröhnend explodieren lassen, machte er nun in Baden-Baden durch eine sehr verhaltene Walküre Eindruck. Wie ein schwermütiges Kaffeehausorchester begleitete Gergievs Orchester eine tieftraurige Liebe, zunächst die zwischen den Geschwistern Siegmund und Sieglinde, dann die zwischen Vater Wotan und Tochter Brünnhilde, nur hin und wieder unterbrochen durch strahlende Ausbrüche, herausragend dabei Mlada Kudolei als Sieglinde. Auch der Walkürenritt erscheint im Sog der zarten Schwermut nur als Zwischenspiel, und Wotans Erzählung (Mikail Kit) wird effektvoll wie eine lang vergrabene Erinnerung fast flüsternd vorgetragen. Deutscher Übertitel hätte es im Festspielhaus wohl nicht bedurft, denn die russischen Sänger imponierten auch durch eine Wortdeutlichkeit, wie man sie sich von manchem deutschen Sänger wünschen würde ... (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 8. 2001)