Salzburg - Viereinhalb Stunden vollste Konzentration, viereinhalb Stunden voller meditativer Töne: Morton Feldmans Marathon-Trio For Philip Guston verlangt sowohl den Interpreten als auch den Zuhörern ein beharrliches Sitzvermögen ab. Wer das nicht hatte, durfte beim "Zeitfluss"-Event im Salzburger Schüttkasten zu einer der bereitstehenden Matten greifen, um entspannt liegend der feinste Klangfäden verknüpfenden Musik des US-Komponisten zu lauschen: ein Klangerlebnis, das an fragiler Schönheit kaum zu übertreffen ist. Zarter könnte eine Hommage an den amerikanischen Maler Philip Guston gar nicht komponiert sein. Und einfühlsamer könnte sie auch kaum gespielt werden als von der Percussionistin Robyn Schulkowsky, dem Flötisten Dietmar Wiesner und dem Pianisten Markus Hinterhäuser, der den Bürosessel des Festivalorganisators wieder mit dem Klavierstockerl vertauschte. Der konzentrierten Pianissimokultur der Interpreten war es wohl auch zu danken, dass das Publikum still und fast vollzählig bis zum Ende des ungewöhnlichen Marathons ausharrte. Wie leicht man selbst aufgeschlossene "Zeitfluss"-Zuhörer verscheuchen kann, musste hingegen tags darauf im Festzelt der in Wien lebende Iraner Nader Mashayekhi miterleben, der dem Publikum mit einem gut gemeinten Vortrag von Khosurou Djafar-Zadeh, langwierigen Umbaupausen und Scelsi-ähnlichen Stücken wohl zu viel zugemutet hatte. Doppelt schade, denn die Geflüchteten versäumten nach der Pause einen hinreißenden Auftritt zweier iranischer Musiker: Hossein Alizadeh auf der Tar, einer kaukasischen Laute, und der Percussionist Madhid Khaladj demonstrierten virtuos, dass subtile Klangkunst keine westliche Domäne ist. Da ließ sich plötzlich wieder ein Faden zu Feldman spinnen, denn was Kaladj auf der Tonbak in feinen Percussionstrukturen erzählte, erinnerte durchaus an The King of Denmark , ein Schlagzeugstück des Komponisten. Outstanding in jeder Hinsicht war der nächste jähe Turn von "Zeitfluss", der ins Fortissimo führte: Wolfgang Mitterer gelang das Kunststück, die Wiener Elektronikszene mit Jazzmusikern zusammenzuspannen, um in Radio Fraktal und Beat Music wohl durchgehörte elektronische Phonspitzen in peitschenden Rhythmen durch das Festzelt zu jagen. Herbert Reisinger an den Drums legte ein kaltschnäuzig-präzises Fundament, Christian Fennesz antwortete ihm mit ätzenden Computersounds, Erdem Tunakan und Patrik Pulsinger klinkten sich mit Turntable-Schleifen ein, die John Schröder mit Gitarrenriffs und Rudi Mahal mit Einwürfen der Bassklarinette produktiv störten. Und hinter allem waltete ein Zuspielband Mitterers, das den Improvisatoren formale Orientierung lieferte. Nicht der leiseste Gig dieses "Zeitfluss"-Festivals, aber ein mitreißender Event. Allein solch ein Abend ließe es als enormen Verlust für die Festspiele erscheinen, sollte sich bewahrheiten, was derzeit in Salzburg die Runde macht: dass die beiden "Zeitfluss"-Organisatoren Hinterhäuser und Zierhofer ihr Festzelt an der Salzach nach dem Abschlussfest am 12. August endgültig abbrechen werden, um eine Programmschiene bei den Wiener Festwochen zu betreuen. In Wien wären sie hoch willkommen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 8. 2001)