Der Grazer Dramatiker Robert Wolf greift beharrlich ins Volle: Der "Russland-Salon", der in Mürzzuschlag uraufgeführt wird, ist eine Familienhölle der grotesken Art. So genau wollte man es nicht wissen. Details der Quantenmechanik oder der Ablauf des Einstein-Podolsky-Rosen-Experiments waren eigentlich nicht gefragt. Im Grunde wollte man mit Robert Wolf schlichtweg über sein mittlerweile halbes Dutzend Theaterstücke sprechen. Doch ohne Abschweifungen in das weite Feld der Physik sind Literaturgespräche mit dem jüngeren Grazer Autor (Jahrgang 1965) kaum möglich. Denn Robert Wolf ist Physiker. Und das merkt man einigen seiner Stücke auch an. Gerade hat er etwa für das in diesem Jahr erstmals stattfindende Autorenfestival "Frankfurter Positionen" ein Zehn-Personen-Stück über Wissenschafter in einem Physikinstitut geschrieben, die durch die Interventionen des Hausmeisters gehörig aus dem Konzept gebracht werden. "Mich interessiert allerdings weniger die Physik, als das, was zwischen Menschen vorgeht", meint der Autor, der schon einmal, in Zyankali 2000 , gänzlich unterschiedliche Personen aufeinander prallen ließ. "In der Physik bewegen sich Teilchen in Kraftfeldern. In meinen Stücken sind es zwischenmenschliche Kräfte der Abstoß-Anziehung, die zwischen den Figuren wirken. Und es sind immer Extremsituationen, in denen sie sich wieder finden." Wobei das Wort "Extremsituationen" kaum erahnen lässt, was Wolf darunter versteht. Zum Beispiel bei Kopfäktschn , einer Science-Fiction-Groteske, die im letzten Jahr am "Plafond" des Wiener Volkstheaters uraufgeführt wurde: Hunde haben in Wolfs szenischer Endzeitfantasie die Macht übernommen, Menschen kämpfen mit aller Kraft ums Überleben - selbst wenn das bedeutet, dass ihnen der Körper amputiert wird. "Der Kopf wird sich letztlich durchsetzen in dieser Welt", glaubt allerdings der amputierende Doktor, und man darf in diesen Worten wohl auch eine Programmatik Wolfs vermuten. Denn hinter all den grotesken Plots steckt ein Autor mit recht altmodischen Anliegen: Im Kreuzfeuer der Kritik steht der Verfall von "Ideen und Idealen". Auch wenn ihn seine Mittel eher als Verwandten von Werner Schwab als - sagen wir - Botho Strauss ausweisen. Wirft man einen Blick in den im kunsthaus muerz (und anschließend im Wiener Rabenhof) gezeigten Russland- Salon , darf man in die Reihe der Wolfschen Angriffsziele sicher auch die Fassaden scheinbar idyllischer Familien stellen. Denn der Russland-Salon ist ein Familiensalon der traurigen Art: Der Vater ein Misanthrop, die Tochter eine Spießbürgerin, der Sohn ein potenter Waschlappen. "Die Idee zu diesem Stück kam mir, wie ich eines Nachts durch die Grazer Altstadt lief und mich fragte, was wohl gerade hinter den wenigen erleuchteten Fenstern passiert." Die Antwort fiel ziemlich deprimierend aus - genauso wie einige der bisherigen Versuche, Wolfs Stücke auf die Bühne zu bringen. Wolfs szenische Fantasie verlangt nach Regisseuren, die, wie der Suhrkamp-Autor, auf die üblichen mimetischen Darstellungsmittel pfeifen. Mit Georg Staudacher hofft Robert Wolf einen solchen Regisseur gefunden zu haben. "Ich glaube, er mag meine Stücke, so wie ich seine Inszenierungen schätze." Zumindest die zwischenmenschlichen Kräfte stimmen also schon einmal. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. 9. 2001)