Citizen Kane, Ibsen, Peter Zadek, Frank Castorf: viele Zitate in Christoph Schlingensiefs mit Verspätung gestarteter Produktion "Rosebud" an der Berliner Volksbühne.Es ist ein Ros entsprungen: Mit dieser Weise wollte Christoph Schlingensief der Berliner Republik wohl das Weihnachtsfest 2001 gründlich verderben. Sein neues Stück Rosebud , das am Freitagabend an der Volksbühne die leicht verspätete Premiere hatte, ist eine freie Assoziation über sinnlose Silben, die am Ende allerdings nicht ohne eine gewisse Logik bleibt.

Martin Wuttke ist der Ausrufer, der den quintessenziellen Namen dieses Stücks zum ersten Mal in den Mund nimmt: "Rosmer!", ruft er in Volker Spengler hinein, als wäre der riesige Schauspieler der Berg, der aus seinen Falten das neue Deutschland kreißt. Rosmer ist ein Abkömmling der Rosmersholms von Ibsen (à la Peter Zadek), aber er hat mit der zweiten Silbe des Namens mehr als nur die direkte Verwandtschaft eingebüßt: Er ist ein Versprengter, der das wilde Denken probt, während Schlingensief mit ihm Schlitten fährt.

Die Anspielung auf den Citizen Kane von Orson Welles, der melancholisch und machtversessen einer Urszene aus der Kindheit hinterherpubliziert, bekommt in Rosebud den aktuellstmöglichen Bezug: Schlingensief montiert in seinen Text auch Interview- passagen von Frank Schirr- macher, einem der Herausgeber der FAZ und der neuen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) . Die Blattgründung einer Zeitung am Sonntag, ZAS , steht in Schlingenschiefs Groteske im Zentrum eines Komplotts, mit dem Deutschland nach rechts geführt werden soll, gesammelt von einem neuen Leitmedium. Der Motor hinter Rosmer ist dabei Dr. Guido Kroll, Mitglied des Bundestags, den Wuttke als Emporkömmling spielt: Immer auf dem Sprung, ist er der Stratege, der sich nebenbei aber auch Rosmers Frau Margit (Sophie Rois), eine ehemalige Terroristin, angafft. Die Gründungsfeier der Sonntagszeitung ist ein Parademoment des Schlingensief-Surrealismus: Während zu ebener Erde eine japanische Delegation im Kimono unmotiviert herumsteht, ruft der Herausgeber vom Balkon herunter eine neue Ära aus, und Bundeskanzler Gerhard (Bernhard Schütz) gibt seinen Segen. Der Rest ist Terror 2001. In den Wirren der Geschichte droht die poetische Wahrhaftigkeit dieses Stücks immer wieder verloren zu gehen, und dass sich zum ohnehin komplizierten Zentralgerüst der literarischen und filmhistorischen Verweise noch eine Menge bloßer Gags gesellen, macht die Sache nicht einfacher: Von Pulp Fiction zu Monty Python's braucht Schlingensief nur eine Bewegung der Drehbühne. Dieses Kreisen aber gibt dem Stück auch seinen Halt: Rosebud ist verankert in jener anderen großen Volksbühnen-Inszenierung, in der das Drehmoment der Bühne den Schwindel der Protagonisten noch vorantrieb - Frank Castorfs Dämonen sind das Vorbild, an dem sich Schlingensief abarbeitet. Anschläge liegen in der Luft, weil die Motive dazu auf der Straße liegen. Eine hysterische Stimmung der Terrorgefahr, gegen die Sophie Rois immer neue Topfpflanzen an den Bühnenrand stellt, durchzieht Rosebud wie eine Erinnerungsspur an die Siebzigerjahre. Die Figur des Rolli Koberg (Fabian Hinrichs), eines ehrgeizigen Dramaturgen, fungiert als Bindeglied zwischen der Medienwelt und dem Untergrund. Er entführt die Kanzlergattin, um endlich die Aufmerksamkeit zu erlangen, die er sich erträumt. Den Pulitzerpreis gibt es für diese Aktion dann aber doch nicht, nicht einmal einen "Aufhänger" in der ZAS . Denn die Ereignisse überschlagen sich.

Das Xanadu, das Jo Schramm für Rosebud gebaut hat, dreht sich immer schneller. Es ist Volker Spenglers Rosmer, der zwischen den Durchdrehern einen Weg ins Freie findet. Spengler hatte schon in Fassbinders In einem Jahr mit 13 Monden einen Mann gespielt, der im falschen Geschlecht gefangen war. Dieses Motiv setzt sich in Rosebud gegen Ende durch: Zuletzt, als Spengler und Wuttke, ineinander verschlungen und in ein Palästinensertuch gehüllt, aus dem Bild schreiten, schweigen die Dämonen, und die Druckmaschinen stehen still, weil Eros es will.

(DER STANDARD, Printausgabe vom 24.12.2001)