Felix Mitterers neue "Johanna" wurde am Salzburger Landestheater uraufgeführt. In Michael Worschs Regie wurde ein Strauß auf- und angelesener Stilblüten gereicht.

Salzburg – Es ist vielleicht nicht ganz so schlimm geworden, wie es bei der theatralischen Ausweidung der ersten europäischen Barrikadenkämpferin und französischen Nationalheldin Jeanne d'Arc durch den derzeit geschicktesten und meistvermarkteten heimischen Bühnenwort- und Fernsehskriptproduzenten zu erwarten war: Das Salzburger Landestheater hat seinen Felix-Mitterer-Bonus voll ausgespielt und nach den Publikumsrennern Sibirien, Abraham und Tödliche Sünden einen Auftrag an den Tiroler Erfolgsautor vergeben.

Der Hauptanwalt aller anonymen Außenseiter und so prominenter Leidensfiguren wie Egon Schiele oder Andreas Hofer zeigte einmal mehr Spürsinn für Gestalten mit magnetischer Anziehungskraft und griff sich die eben in das Kostümkino verbrachte lothringische Hirtin und von Engelsstimmen besessene Königsmacherin Jeanne. Sie ist die scheinbare Ideallieferantin für emotional-feministischen Zementierstoff und für Spiegelungsflächen schmutziger, patriarchaler Machtpolitik.

Illustriertenkitsch

Johanna oder Die Erfindung der Nation hat sich allerdings bei der Uraufführung am Samstag als Dramatikergeschenk von recht zweifelhafter Qualität und Attraktivität erwiesen. Denn diesmal hat Mitterer spürbar zu hoch gegriffen, indem er aus dem mystischen Urbild weiblicher Intuition, aus dem Modell gerechter Streitbarkeit eine mittelalterlich-modernistisch verkleidete Illustriertengeschichte über die Stufen der Verrücktheit machte.

Der Kunstgriff, in die bekannte Geschichte des zuerst verspotteten, dann angebeteten, am Ende auf dem Scheiterhaufen verbrannten und schließlich geheiligten Landmädchens eine psychiatrische und auf die gegenwärtige Politikmisere abzielende Verhandlungsebene einzubauen, rettet das trotz seiner Kürze sehr langatmige Stationendrama nicht wirklich.

Die minimale Publikumsresonanz sollte Mitterer eine Lehre sein, bei seinen kommenden Beutezügen zu gesellschaftlichen Sondererscheinungen die eigene dichterische Erschließungskraft nicht allzu sehr zu überschätzen.

In Salzburg zieht einem jedenfalls die Gänsehaut auf, wenn auf den Thron hinaufgefallene, undankbare Könige staatstragende Volksreden halten oder greise Herzöge über die Folgen des Nationenbegriffes Binsenweisheiten und Gemeinplätze verbreiten, Erzengel mit Kronen auftreten, Jeanne in hochgestochenes Befreiungspathos verfällt und der Mitstreiter und legendäre, von allen Erosforschern gründlich analysierte Knabenfresser Gilles de Rais seine Sexpraktiken und Schlachtungsgewohnheiten ausführlich darlegt.

An solchen Stellen enthüllt sich die Angelesenheit historischer Hintergründe und die sprachliche Anmaßung bei der Umsetzung des Schreckens ganz besonders. Am berührendsten ist Mitterer immer dort, wo es um ganz kleine menschliche Regungen etwa im Sanatoriumsmilieu geht, wo Johanna als Häuflein verratenes und nacktes Elend landet.

Die Aufgabenlast, die tranige Mitterer-Mädchentragödie vor dem Aufschäumen im szenischen Kitschvollbad zu bewahren, zwingt Regisseur Michael Worsch zu leider nicht durchgängigen Trockenlegungsübungen. Warum ständig Kinder mit "Jeanne"-Rufen durch Andreas Lungenschmids Kathedralenruine klettern müssen, erschließt sich wie manch andere aufgesetzte Showgag leider gar nicht.

Man klatschte dennoch höflich Beifall, der sich bei der viel versprechenden Larisa Marie Teuber und Tillbert Strahl-Schäfer – dem himmlichen Teufelspaar Jeanne und Gilles – indes kaum hob.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 1. 2002)