In Mailand wurde mit einer "Traviata" das neue Teatro degli Arcimboldi eröffnet. Es dient der zu renovierenden Mailänder Scala für mindestens drei Jahre als Spielstätte
von STANDARD-Mitarbeiter Henning Klüver
Foto: APA/EPA/Beltrami-Guatelli
Das Teatro degli Arcimboldi
Mailand - Die erste Probe ist bestanden. Am Samstagabend starb Violetta ihren ersten Bühnentod im neuen Mailänder Musentempel Teatro degli Arcimboldi, und viele werden folgen. Das Publikum beklatschte Verdis Traviata , mit der das neue Haus eingeweiht wurde, aber der Star war das Gebäude. Architekt Vittorio Gregotti hat es in Rekordzeit (28 Monate) in Mailand-Bicocca, einem ehemaligen Industrieviertel am nördlichen Rand der Stadt, errichtet.

Hier findet jetzt für mindestens drei Jahre die Scala ein Exil - das klassizistische Opernhaus, das 1776/78 im Auftrag Maria Theresias an der Stelle der Kirche S. Maria alla Scala erbaut wurde, muss renoviert werden (Kosten: 49 Millionen Euro). Gewiss, das neue Teatro degli Arcimboldi darf man nicht mit dem historischen Gebäude vergleichen. Hier ist alles anders bis auf die Maße des Bühnenausgangs. Mit 16 Metern Breite und 12 Metern Höhe entsprechen sie jenen der Oper, um weiterhin die Umsetzung von Inszenierungen zu garantieren.

So ist mit den Künstlern und Technikern auch der alte Bühnenvorhang der Scala mit umgezogen. In der typischen Architektursprache Gregottis, die alle Baukörper und Formen aufs Einfachste reduziert, zeigt sich der Zuschauerraum wie ein großer Fächer, der sich vor die Bühne spannt. Die Wände sind in violinenrotem Holz getäfelt. An beiden Seiten können Glaspaneele je nach akustischen Bedürfnissen verstellt werden. Es finden da 2400 Besucher Platz.

Das neue Opernhaus ist innerhalb des Areals der ehemaligen Pirelli-Werke entstanden. Pirelli und Mailand teilen sich auch die Baukosten von 28 Millionen Euro. Kritiker werfen der Stadt vor, mit dem Neubau das Gelände zum Vorteil eines Privatbetreibers aufgewertet zu haben. Außerdem habe die Gemeinde Mailand im Gegenzug zur Beteiligung Pirellis am Teatro degli Arcimboldi auf rund elf Millionen Euro Stadterschließungskosten verzichtet.

Die Mailänder Scala ist immerhin ein Unternehmen, das im Jahr rund 102 Millionen Euro umsetzt. Bis vor kurzem war das Opernhaus wie alle wichtigen italienischen Opernbühnen eine staatliche Einrichtung. Um die steigenden Kosten der Bühnen aufzufangen, hat das Parlament einst ein Gesetz beschlossen, das die Umwandlung der Opern in Privatstiftungen mit Staatsbeteiligung vorsieht.

Privates Engagement

Das Haus spielt etwa 38 Millionen Euro aus dem Karten- und Rechteverkauf selber ein. Die Privaten, zu denen Banken, Unternehmen wie Pirelli, aber auch Modeschöpfer wie Armani gehören, engagieren sich mit 14 Millionen im Jahr an der Scala. Den Rest gibt die öffentliche Hand.

Das Mailand, das zählt, und das Bürgertum, das zahlt, hatten den Weg in die neblige Vorstadt gefunden (und ein Verkehrschaos im Viertel ausgelöst). Bei Besuchern wie Giorgio Armani oder Umberto Eco spürte man natürlich Nostalgie angesichts dieses Umzugs der Scala, aber auch viel Begeisterung über das neue Haus. Allein Vittorio Sgarbi, Kulturstaatssekretär in der Berlusconi-Regierung und ein bekannter Feind des Architekten Gregotti, fand das Arcimboldi "abstoßend". Es sehe aus "wie ein Multiplex-Kino". Sgarbis Chef, Kulturminister Giuliano Urbani, wusste bereits vorher, "dass ich das schön finden würde".

Nicht alle waren von der neuen, "weichen" Akustik begeistert, die gegenwärtig das Orchester favorisiert. Riccardo Muti hingegen war zufrieden. Die Akustik sei besser als im alten Haus. Und 2400 Plätze, 700 mehr als in der Scala, würden ein neues Publikum erschließen.

Musikkritiker klagten zwar darüber, dass das neue Haus ausgerechnet mit einem "Ladenhüter" eröffnet wurde - diese Traviata ist bereits die siebte Wiederaufnahme einer Inszenierung von Liliana Cavani. Doch sind die weiteren sechs Vorstellungen bereits ausverkauft. Violetta darf weiter vor vollem Haus sterben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.01. 2002)