Die deutschen Grünen haben auf dem Parteitag am Sonntag nach 22 Jahren ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet, das für Bundestagsfraktionschefin Kerstin Müller "realitätstauglicher" ist. STANDARD: In der Präambel heißt es, Gewalt wird als politisches Mittel nicht ausgeschlossen. Stößt man damit nicht Friedensbewegte vor den Kopf? Müller: Der Beschluss ist nur konsequent. Die Grünen haben sich bereits dafür entschieden, im Kampf gegen den Terrorismus zu sagen: Als Ultima Ratio können wir Gewalt nicht immer ausschließen. Aber uns ist klar: Militärische Gewalt ist nicht Mittel der Politik und keine Konfliktlösung, sondern es muss um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung gehen, um eine Reform des Finanzsystems, um nachhaltige Politik. Der Schwerpunkt grüner Politik liegt nach wie vor auf zivilen, nicht auf militärischen Konfliktlösungen.STANDARD: Sie gelten als Vertreterin des linken Flügels. Jetzt sind die Grünen ganz auf Realokurs getrimmt. Wegen der Regierungsbeteiligung? Müller: Diese Rechts- und Linksschemata funktionieren schon lange nicht mehr in der Partei, und das ist gut so. Das heißt nicht, dass wir keine Differenzen mehr haben. Die Strömungen sind eher Seilschaften gewichen, die aber keine sachlich-inhaltliche Untermauerung mehr haben. Das hat auch, aber nicht nur etwas mit der Regierungsbeteiligung zu tun. Wir müssen uns auf den Gegner außerhalb konzentrieren und nicht innerhalb der Partei. STANDARD: Wie wollen Sie bei den Bundestagswahlen im Herbst die Fünfprozenthürde schaffen? Müller: Ich habe keinen Zweifel, dass wir den Sprung schaffen. Ich glaube, acht Prozent plus x sind drin. Wir werden vor allem die Alternativen deutlich machen: Wer die Verkehrs-, die Energiewende fortsetzen will, wer den Ausbau der Bürgerrechte will, muss verhindern, dass es zu einer großen Koalition kommt. Vor diesem politischen Stillstand können wir nur warnen. STANDARD: Was raten Sie Österreichs Grünen im Falle einer Regierungsbeteiligung: Welche Fehler sollten sie nach Ihren Erfahrungen vermeiden? Müller: Letztlich müssen das die Grünen dort entscheiden. Ich würde mich über Rot-Grün in Österreich freuen. Ich würde raten, eine solche Koalition nur einzugehen, wenn es mit den dortigen Sozialdemokraten möglich ist, einen Politikwechsel einzuleiten. Als kleine politische Kraft kann man nur einen Teil seines Wahlprogramms umsetzen. Man sollte keine unrealistischen Erwartungen wecken, sondern den Bürgern ehrlich sagen, was durchzusetzen ist. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.3.2002)