Was ist eigentlich Ethik? Laut Lexikon die Lehre von den (sittlichen) Normen menschlichen Handelns und deren Rechtfertigung. - In den USA eine seit vielen Jahren etablierte Wissenschaftsdisziplin, bei uns ein Nebenjob unter anderem für Mediziner und Juristen.Oder - im Fall der Kommission des Bundeskanzlers - ein anderes Wort für Trauerspiel. In der Ethikersitzung am Mittwoch gab es wieder nur den Beschluss, beim nächsten Mal etwas zu beschließen - diesmal ganz, ganz bestimmt. Dass kein Missverständnis entsteht: Gut Ethikding darf Weile brauchen. Nur: Dass sich das Gremium nun schon seit Jänner nicht auf eine Position zur Embryo-Stammzellforschung im neuen EU-Rahmenprogramm einigen kann, lässt an der Funktionstüchtigkeit der Einrichtung zweifeln. Die Kommission, so sagt einer im Wissenschaftsministerium, ist "zerstritten". Mitglieder berichten, knapp ein Jahr nach ihrer Installierung hielten sich andere in der Kommission punkto Embryoforschung noch immer "bedeckt". Immer öfter stöhnt einer unter "Druck". Nicht immer kann er genau benennen, woher der kommt, nur, dass "Lobbys" am Werk sind. Kurz: Die Politik macht den EthikerInnen die Arbeit schwer. Jüngstes Beispiel: die Biopatent-Richtlinie der EU, deren nationale Umsetzung die Kommission ja befürwortet hat (STANDARD-Leserinnen und -Leser wussten das schon vor der offiziellen Bekanntgabe). An sich eine Fopperei: Da hat das EU-Mitglied Österreich etwas seit Jahren umzusetzen, und die Regierung beschäftigt damit - vor dem Beschluss am Mittwoch - noch die Ethiker. Einer von ihnen: "Da haben's wen gebraucht, an dem sie sich abputzen können." Ethik als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Und was machen einzelne RegierungspolitikerInnen nun, da es Proteste gegen das "Patent auf Leben" hagelt? Sie reden herum, wollen in Brüssel alles noch einmal beplaudern. Die EthikerInnen müssen sich fühlen wie nützliche - IdealistInnen. Zweite Spielart des Missbrauchs: EthikerInnen als VorbereiterInnen der Politik, Beispiel Bioethik-Konvention des Europarates. Diesen kleinsten gemeinsamen Nenner der Medizinforschung müssten wir nicht ratifizieren, werden es aber wohl. Zuvor durften die EthikerInnen das heikle Papier sanktionieren, das Versuche an Nichteinwilligungsfähigen zulässt - auch dann, wenn diese gar keinen Nutzen aus der Forschung ziehen. Wegen ihrer Bedenken haben BehindertenvertreterInnen ja schon bald eine Gegenkommission gegründet (was an sich schon zum Überdenken der Kanzlerkommission in der bestehenden Form hätte führen müssen). Die Empfehlung wurde dann überraschend nicht von Kanzler Schüssel selbst präsentiert, obwohl dies seine eigene Verordnung vorsieht. Die Kommission selbst "durfte" an die Öffentlichkeit. Von der Botschaft war ja auch kein positiver Imagetransfer zu erwarten wie beim Kommissionsstart, als der Bundeskanzler im Licht der zukunftsträchtigen Bioethik-Sonne strahlen durfte. Und das Thema da gleich recht erfolgreich besetzt hat. Oder hat man schon einmal was von einem Bioethik-Vordenker Alfred Gusenbauer gehört? Von einer Biomedizin-Verfechterin Susanne Riess-Passer? Dass sich die Mitglieder der Kommission unter Druck oder herumgeschubst fühlen, liegt, bei allem Respekt vor der intellektuellen Redlichkeit der einzelnen Mitglieder, an einem Geburtsfehler des Gremiums: Es ist kaum gesellschaftlich legitimiert. Außer der - zweifellos (ge)wichtigen - gesellschaftlichen Gruppe der Generaldirektoren von Biotechfirmen (in Gestalt von Heinrich Scherfler, Biochemie) sind keine vertreten. Und damit niemand, der dem Gremium via gewählte Vertreter Rückhalt im und Input aus dem Volk geben könnte. Zurück bleibt der Eindruck einer entschlussschwachen Kommission, die auch noch gegen zwei falsche Bilder der von der Politik ramponierten Disziplin Ethik ankämpfen muss: Ethik bedeutet moralische Verbote. Oder - nicht minder fatal: Ethik ist, wenn man's trotzdem macht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 04.04.2002)