Gipfeltreffen in Zürich: Schauspielhausdirektor Christoph Marthaler inszeniert die neue Komödie von Thomas Hürlimann, "Synchron". Daraus entsteht eher ein furios komisches, eigenwilliges Marthaler-Stück, das freilich den Intentionen des Autors durchaus entspricht.
Von STANDARD-Mitarbeiter Thomas Meyer aus Zürich
Am Stück wurde bis zuletzt gearbeitet. Der Text jedenfalls, der im Programmbuch abgedruckt ist, wirkt eher wie ein viel tiefer liegendes Fundament, auf dem ein stilistisch eigenständiges Gebäude errichtet wurde. Am Schluss ist es doch eher ein Christoph-Marthaler-Stück geworden.

Da gibt es die aufreibenden Wiederholungen, die schrägen Witze, gezielten Durchhänger und manierierte Körpersprache - also ganz gewiss keine werkgetreue Uraufführung. Und doch schält Marthaler einige Ebenen so deutlich heraus, dass ein kohärenter Theaterabend entsteht.

Thomas Hürlimann hatte sein Stück durchaus mit mehr geistiger Fracht beladen, mit Texten, die über den theatralen Moment hinausweisen und dem Ganzen eine poetisch-pessimistische Tiefendimension geben könnten. "Sterne. Die Welt ist ein Ball, wird zum Fall, ist ein Stern, der dort fern im Gesplitter all der Sterne erlischt", reimt er zum Schluss. Aber solch vielfach gebrochene Weltsicht wird ebenso ausgeblendet, wie die Tragik einzelner Ereignisse verschwindet.

Nicht was den Personen widerfährt (etwa eine Totgeburt oder die Altersdemenz), ist die Tragikomödie, sondern was ihnen eben nicht widerfährt, das, was sie ziellos durchs Leben treiben lässt - so akzentuiert Marthaler Hürlimanns Stück auf die für ihn typische Weise: Er verleiht dem Ganzen seinen verqueren Rhythmus und langen Atem - und er schafft es gerade dadurch, Situationskomik aus dem Werk herauszuholen. Das ist zentral, denn es geht in Synchron ums Jetzt, in dem die Menschen aufeinander treffen und doch weit voneinander entfernt sind. Das ist die Quintessenz der Synchronizität.

Porno-"Hörspiele"

Um die Idee herum, dass sich das Schauspielerpaar Sibylle (Bibiana Beglau) und Frunz (Robert Hunger-Bühler) als Synchronsprecher für Pornofilme verdingt, baut Hürlimann sein Stück. Wie da Sexszenen hörspielartig mit Stöh-nen und Geräuschen untermalt werden, verspricht an sich schon schwankhafte Momente. Bettina Stucky und Ueli Jäggi als zusätzliches Sprecherpaar machen daraus eine Glanznummer im schmuddligen Studiointerieur von Anna Viebrock.

Natürlich klappt dabei kaum etwas, Versprecher und Hustenanfälle lösen endlose Repetitionen ein. Die Synchronizität funktioniert eben nicht. Bald schon werden auch die Zeitebenen des Stücks verspiegelt; die Eltern Sibylles (Nikola Weisse und Siggi Schwientek) erscheinen sowohl in der Jetztzeit als auch als junges Paar und im hohen Alter. Der Erzählfluss ist aufgehoben, die Handlungsfäden verlaufen wirr durcheinander, die Zeit gerät durch die Wiederholungen, Neuansätze und Verschachtelungen aus den Fugen.

"Wir sind dauernd zwischen Vergangenheit und Zukunft hin und her gerissen. Und wo schon der einzelne Mensch mit seiner Zeit kaum je synchron sein kann, ist es umso schwieriger für ein Paar. Ihr Zusammenleben ist meist asynchron", sagt Hürlimann dazu. Schließlich werden auch die Texte vertauscht und von den Männern auf die Frauen übertragen und umgekehrt. Nichts ist mehr, wie es sein sollte, das bestätigt der Abend einmal mehr in der - man möchte sagen: bewährten Zürcher Manier.

Weil Marthaler zusätzliche Elemente einbaut und Martin Schütz das Ganze mit irritierend banalen und doch viel-sagenden Klängen unterlegt, fällt man schließlich ganz aus dem gewohnten Zeitgefühl heraus. Die Frage, ob und wie Hürlimanns Text integral umgesetzt funktionieren würde, beantwortet diese Uraufführung nicht, aber das Schauspielhaus Zürich zwingt das Ganze durch die äußerst beachtliche Ensembleleistung und die Musikalität Marthalers zusammen. Und so entsteht tatsächlich eine witzig-absurde Komödie.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 06.05. 2002)