Foto: Festwochen/ Marie-Noëlle Robert
Wien - Komponieren war hier Tranchieren, Zerlegen und dann neu Zusammensetzen. Dass Peter Eötvös bei Tschechows Drei Schwestern allerdings heftig eingegriffen hat, um aus dem unspektakulären äußeren Handlungsverlauf des Originals plakatives Opernleben herauszukitzeln, kann nicht behauptet werden. Bei ihm, der den Vierakter zusammen mit Claus Henneberg zu drei den Zeitablauf durcheinanderwirbelnden Sequenzen geformt hat, herrscht ein Minimalismus der äußeren Ereignisse. Es handelt sich dabei jedoch um eine Art Verdichtung durch Reduktion, auf dass der Blick frei wird für innere Vorgänge jener drei Seelen, die für Eötvös archetypische Momente aufweisen. Auch deshalb deren Befreiung vom Ballast des Konkreten. Die Schwestern sind zerbrechliche abstrakte Skulpturen. So schweben denn auch drei Countertenöre geschlechtslos als Olga, Mascha und Irina (Alain Aubin, Lawrence Zazzo und Oleg Riabets berücken mit großer Präsenz und stimmlicher Souveränität) auf einer Spielfläche, die drei Seidenpapierwände durchdringen und auf der nicht mehr zu sehen ist als drei Waagen, Spiegeldreiecke und kleine Sandburgen. Abstrakter Stil Die Zahl drei, auf die sich das Bühnenbild festlegt, hat Eötvös auch zum formbildenden Leitmotiv der Musik auserkoren. Ein Akkordeon eröffnet mit einem sanften Tritonus (zwei kleine Terzen). Eötvös verwendet Dreitonakkorde. Das Ganze hat drei Sequenzen. In Wahrheit erklärt sich der Zauber dieser Oper jedoch nicht aus einer bewussten formalen Ordnung, vielmehr aus der eleganten Verschmelzung von Musik und Inszenierung. Regisseur Ushio Amagatsu entführt in eine stilisierte Welt der zarten pantomimischen Gesten, in der kein Blick und kein Konversations-Nebenschauplatz dem Zufall überlassen wird. Die Schwestern werden zu einem gleichsam von der Welt abgetrennten Kosmos, während die Herrenwelt zwischen absurdem und deftigem Monolog (als Andrej Albert Schagidullin) changiert. Figuren, Gestik und Musik sind raffiniert und exakt aufeinander abgestimmt; jeder Gestalt ist ein Instrument zugeordnet (Holzbläser charakterisieren die Schwestern) - fallweise mit karikierender Wirkung. Zwei Orchester Eötvös, als versierter Theaterpraktiker, ist sich auch bewusst, dass in dieser Welt der Reduktion dem Klang als solchem eine auratisch-dramaturgische Funktion zukommen muss. So hat er im Orchestergraben des Theaters an der Wien ein Kammerensemble (Klangforum Wien), das er dirigiert, postiert. Um die kaum jemals laut agierenden Stimmen nicht zu irritieren, dennoch aber große Soundwirkung zu erzielen, verlegt er hinter die Bühne ein großes Orchester, das Musikenergie auf die Bühne übergehen lässt (das Savaria Symphonieorchester unter László Tihanyi). Das führt zu einer narkotisch wirkenden Verschmelzung von Stimmen und Orchestersound. Allein, Eötvös setzt auch auf dynamische Kontraste. Die Vokalbehandlung reicht von Sprechen bis Singen, umgeht auch die Zwischenbereiche nicht. Seiner Vorliebe für malerische Glissandi stellt er ein heftiges Pochen von Blech und Schlagwerk entgegen. Und mitunter meint man sogar Ausflügen in die Welt der Minimal Music zu hören, wenn sich extrovertierte Repetitionsmelodik einstellt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. 5. 2002)