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John Malpede (r.) in der Rolle des Antonin Artaud und General Stufflebeem sowie Regisseur Peter Sellars während einer Probe

Foto: APA/Schlager
Wien - Peter Sellars inszenierte für die zeitzonen -Reihe der Festwochen Antonin Artauds For an End to the Judgement of God . Er inszenierte es unerwartet: sehr zurückgenommen. Zu erwarten wäre bei einem Text, wo Fleisch, Körperteile, Schreie und metaphysische Anklage in ein Bündel von Stimmen geschnürt werden, eine "wilde" Aufführung. Sellars macht das Gegenteil, teilweise sehr eindrücklich. Dieses prophetische Stück, das Artaud wenige Wochen vor seinem Tod 1948 noch für das französische Radio inszenierte, passt gut ins ehemalige Offizierskasino am Schwarzenbergplatz: Wo zu Schnitzlers Zeit noch im Smalltalk vom Krieg geplaudert wurde, da tritt jetzt John Malpede in der Uniform eines US-Marineoffiziers hinter ein Rednerpult, wie es aus Pressekonferenzen bekannt ist. Er spricht von Krieg. Von Tapferkeit und Nation und davon, dass Körper der Heimat zur Verfügung gestellt werden müssen: dass Kindersamen eingefroren werden soll für die Aufrechterhaltung künftiger Verteidigungsbereitschaft. John Malpede variiert dabei die Stimmstärke in kleinen, aber merklichen Abstufungen: Die Stimme der Macht muss nicht brüllen. Die musikalische Komposition dieses Abends besteht nun in zweierlei: Zur Rede spielt Sellars CNN-Bilder aus dem Afghanistankrieg ein. Man sieht die Bewegung von John Malpedes Hand vom Pult weg und zugleich auf den Screens verstümmelte Hände. Dazu fragmentiert Sellars das Fernsehmaterial: durch Montagen, durch Zeitlupe, durch Kontraste zwischen der stillen Landschaft und den Verwundeten. Die Sparsamkeit und Genauigkeit der Auswahl sind zugleich Kritik: Im Original-TV gibt es weder Sparsamkeit noch Verlangsamung. Auch fehlt in den Sellars-Kriegsbildern der Kommentar. Ist dies schon komponiert, so stellt Sellars zu den stummen Bildern noch die berührende Musik Osvaldo Gokijovs in einer Einspielung des Kronos-Quartetts. So lässt sich über Krieg also auch sprechen, ganz anders, ohne Hetze, ohne Phrasen, ohne offiziell verordnete Gefühle (stattdessen: das private Gefühl). Schlecht an diesem Abend waren nur die Gedichte June Jordans, doch die junge Pascale Armand bewältigte sie zum Glück temperamentvoll. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.6.2002)