Igor Bauersima inszeniert "das maß der dinge" von Neil LaBute: Die Produktion ist ab 2. August bei den Salzburger Festspielen zu sehen. Ronald Pohl traf den Regisseur im Burgtheater.Wien - Kürzlich klingelte bei dem Autor und Theaterregisseur Igor Bauersima in Düsseldorf, wo er gerade auf szenischer Montage weilte, das Telefon. Bauersima war 1968 als Vierjähriger mit seinen Eltern aus der tschechischen Volksrepublik in die wohlhabende Schweiz, nach Bern, geflüchtet. Der Bub wuchs in der Folge zweisprachig auf. Er zeichnete gerne. Studierte dann, mehr weil es sich so ergab, Architektur, die aber, wie er heute erzählt, eine zu "niedrige Betriebstemperatur" voraussetze, weswegen er lieber vor leere Blätter flüchte, die von keinen Gitternetzen bedeckt sind.

Ein weißes Blatt Papier ist für Bauersima, dessen Werkkatalog inzwischen 13 Theaterstücke umfasst, das Größte und das Abscheulichste zugleich. Das ist auch immer so geblieben: "Das Blatt schreit dich an!"

Bauersima ist keiner, der sich jetzt auf ein Schreiduell mit dem Papier einließe. Er hat jenen vollkommen lakonischen, schwebenden Ton gefunden, der seinem Stück norway. today, dem Knüller von 2000, höchste Ehren bescherte. Noch lieber denkt er wahrscheinlich nach. So war es auch, als er in Düsseldorf sein Stück Tattoo glücklich zur Uraufführung gebracht hatte: eine irrwitzige Reflexion über die Ununterscheidbarkeit von Leben und Kunst.

"Jetzt ist endlich Sommer!", hatte sich Bauersima noch gedacht, da klingelte schon das Telefon: "Hallo, hier Burgtheater! Wir haben das neue Stück von Neil LaBute und koproduzieren es mit den Salzburger Festspielen. Hätten Sie Lust, es zu inszenieren?" (jemand aus der Direktion, förmlich) - "Wovon handelt es denn eigentlich?" (Bauersima, freundlich) - "Es handelt von der Ununterscheidbarkeit von Leben und Kunst." - "Und es wirkt in der Tat wie das Gegenstück zu Tattoo", so Bauersima heute.

Er sitzt im marmorstarrenden Erzherzog-Zimmer der Burg, blickt verträumt aus dem Fenster, über die blaue Tankstelle hinweg, auf den Volksgarten hinunter und meint: "Hier in Wien fühle ich mich tatsächlich zu Hause. Denn in der Schweiz habe ich nie das Gefühl gehabt, verwurzelt zu sein. Nur in Paris ist es mir so ergangen, und jetzt hier in Wien."


Zweieiige Zwillinge

Das Stück das maß der dinge des Amerikaners LaBute, dem Autor von Bash, ist ein guter, frecher, vielbödiger Witz. Spielt auf einem Campus irgendwo im Mittelwesten. Er-zählt von einer Kunststudentin, die einen dicken, verwahrlosten Anglisten, ihren Lover, zum klassischen Standbild umbaut.

Sie unterwirft ihn einer Vielzahl von Reformen. Knetet ihn plastisch, durchdringt ihn chirurgisch, belohnt ihn mit Sex, unterwirft ihn ihrer totalen Kontrolle. Es ist, als ob ein paar Uni-Kids Nietzsches Ecce homo beim Wahnwort genommen hätten. Am Schluss "veröffentlicht" sie ihn als ihr Kunstwerk, komplett mit Bedienungsanleitung und Kommentarteil - und Adam, ihr manipuliertes, fassungsloses "Objekt", klagt die "Wahrheit" ihrer Beziehung ein. Ein böser Simulationsalbtraum. Der wahre Witz steckt im Detail: Igor Bauersima hat ihn, ohne Kenntnis von LaButes Stück, selbst schon geträumt. Denn plötzlich gibt es zwei aktuelle Stücke, und sie verhalten sich wie zweieiige Zwillinge zueinander.
"In meinem Stück Tattoo", erklärt Bauersima, "bricht ein am ganzen Körper tätowierter Künstler in die Kunstszene von L. A. ein." Er, der sein eigenes Kapital ist, entfaltet eine bedeutsame erotische Wirkung. Schafft emotionale Bindungen. Irgendwann wird sein in Formaldehyd getauchter, toter Leib in die Galerie gestellt. Ein zweiter Tätowierter bricht herein. Die geläufigen Identitätskonzepte kollabieren restlos. Der Kunstmarkt macht Dividende.

Es ist, als hätte sich Bauersimas Stück dasjenige von LaBute ausgedacht, oder umgekehrt. Das würde aber voraussetzen, dass Kunstwerke, diesfalls: Stücke, autonome Wesenheiten sind. Bauersima: "Die Menschen nehmen die Fragwürdigkeit ihrer Identität ja nicht philosophisch wahr, sondern unbewusst. Darin liegt auch der Grund für ihre Verängstigung." Von der Autonomie der entwickelten Bühnenkünste hält Bauersima weniger. Seine eigenen Stücke schreibt er gegebenenfalls noch auf der Probe um. Da fällt ihm kein Zacken aus der Krone, denn: "Dass der Autor sich darum kümmert, dass er vorkommt, ist doch das Natürlichste auf der Welt. Durch das Regietheaterkonzept gibt es ja eine autorenfeindliche Haltung. Texte werden wie Fundstücke behandelt: Als hätte hier nicht jemand sehr ernsthaft nachgedacht, sondern einfach in die Ecke geschissen." (DER STANDARD, Printausgabe, Sa./So., 22./23.6.2002)