Bei ihrem Dreiertreffen mit Xi tauschten Macron und von der Leyen für einmal die Rollen. Die EU-Kommissionspräsidentin übernahm die politische Rolle, obwohl sie zu dem Staatsbesuch Xis in Frankreich eigentlich für Wirtschaftsfragen beigezogen war. Sie forderte den chinesischen Machthaber auf, "mehr Anstrengungen" an den Tag zu legen, damit keine chinesischen Dual-Use-Güter auf die Schlachtfelder der Ukraine mehr gelangen. Laut amerikanischen Studien liefern chinesische Firmen weiterhin solche elektronischen Waffenbestandteile an Russland. Sie sind offiziell als zivile Waren deklariert, aber für die vom Westen sanktionierte Kriegswirtschaft unerlässlich.

Von der Leyen ging noch weiter, um Xi von seiner Schützenhilfe für das russische Regime von Wladimir Putin abzubringen: "Wir zählen darauf", sagte die Deutsche, "dass China seinen ganzen Einfluss einsetzt, um Russlands Angriffskrieg zu beenden." Außerdem könne Peking "eine wichtige Rolle" spielen, um seinen Verbündeten Iran vor der Weitergabe von Drohnen und ballistischen Raketen abzuhalten.

Brigitte Macron und ihr Mann, Frankreichs Präsident Emmanule Macron, daneben Chinas Präsident Xi Jingping und seine Frau. 
Macron fordert ausgeglichene Beziehungen und "gleiche Regeln für alle".
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Xi antwortete nicht direkt. Mit Emmanuel Macron rief er am Abend einzig zu einer Waffenruhe "in der ganzen Welt" während der olympischen Sommerspiele vom 26. Juli bis 11. August auf. Der Chinese erklärte weiter, er unterstütze eine Friedenskonferenz, an der sich Russland und die Ukraine beteiligten und die "zur richtigen Zeit" organisiert werde,

Ansonsten redete der französische Präsident dem Chinesen ins handelspolitische Gewissen. Er forderte von ihm "ausgeglichene Beziehungen" und "gleiche Regeln für alle". Gemeint war: China solle die Subventionierung seiner E-Autos aufgeben und den europäischen Produzenten den Zugang zum chinesischen Markt gewährleisten.

Klartext hatte Macron in der Vorwoche in einem Interview mit der Londoner Zeitschrift The Economist gesprochen. "Wir haben China in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen, mussten dann aber realisieren, dass es die Regeln nicht einhält."

Damit rechtfertigte Macron auch, dass Frankreich den chinesischen E-Auto-Marken wie BYD, die gegenwärtig den europäischen Markt überfluten, den Elektrobonus entzogen hat. Für Sonnenkollektoren aus China hat Paris ein Importkontingent erlassen. Und vor allem macht Frankreich stärker als etwa Deutschland Druck auf die EU, eine Untersuchung über marktverzerrende Subventionen Pekings an seine E-Auto-Branche vorzunehmen.

Cognac im Visier

Xi ging darauf im Élysée-Palast nicht ein. Er hatte aber vorgesorgt. Schon im Januar lancierte China seinerseits eine Marktuntersuchung im Fall europäischer Spirituosen. Im Visier sind vor allem französische Cognacmarken wie Rémy Martin, Hennessy oder Martell. Sie kommen zusammen auf einen Jahresexport von 3,35 Milliarden Euro und beliefern vor allem die USA und China.

Xi begrüßt Ursula Von der Leyen
Ursula von der Leyen forderte den chinesischen Machthaber auf, "mehr Anstrengungen" an den Tag zu legen, damit keine chinesischen Dual-Use-Güter auf die Schlachtfelder der Ukraine mehr gelangen.
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Das Vorgehen Pekings ist eine pure Drohgebärde für den Fall, dass die EU gegen die chinesischen E-Autos Strafzölle erlassen wird. In diesem Fall könnte Peking die "Untersuchung" auf den europäischen Weinsektor mit den – nicht zufällig französischen – Hauptmärkten Bordeaux und Burgunder ausdehnen. 2023 exportierte Frankreich für 12,7 Milliarden Euro Rotwein in die Welt. Chinesische Strafzölle würden die französischen Winzer schwer treffen. Ihre Produktion ist Covid-bedingt bereits eingebrochen; und obwohl das Angebot gesunken ist, brechen auch die Flaschenpreise für Bordeaux ein.

Koexistenz

Dass es China vorerst bei einer Warnung Frankreichs belässt, dürfte auch geopolitische Gründe haben: Xi machte am Montag gegenüber Macron und von der Leyen klar, dass ihm sehr daran gelegen sei, dass die EU für sein Land ein "Partner bleibt". Europa und China seien ein "Modell für die friedliche Koexistenz", sagte er, damit implizierend, dass die Beziehung seines Landes zu den USA weniger friedliebend sei.

Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire nahm Xi darauf beim Wort und schlug vor, dass ein chinesischer E-Auto-Hersteller doch als Geste der Partnerschaft ein Produktionswerk in Frankreich eröffnen solle.

Der chinesische Präsident hatte darauf keine Antwort. Möglicherweise aus einem bestimmten Grund: Pressemeldungen aus Budapest zufolge könnte Xi Ende Woche in Ungarn – wo er seine Europareise beenden wird – den Bau einer chinesischen E-Auto-Fabrik bekanntgeben. Und damit klarmachen, dass er europäische "Partner" wie Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán gegenüber Kritikern wie Macron und von der Leyen vorzieht. (Stefan Brändle aus Paris, 6.5.2024)