Banner am Campus der Uni Wien am Dienstag
Das Protestcamp auf dem Campus der Universität Wien im Alten AKH, das am Montagnachmittag errichtet wurde.
Stefanie Rachbauer

Die Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH) Wien verurteilt die "antiisraelische Demonstrant*innen" und "antisemitische Gruppierungen" auf dem Campus der Universität Wien. Die Vertretung der Studierenden in der Hauptstadt hält in einem Statement vom Montag fest, dass einige "ganz klar antisemitische Gruppierungen wie beispielsweise Der Funke oder BDS zu dem Protest" aufgerufen hätten. Derartige Aktionen würden "ganz klar" zu einem "stärker werdenden Unsicherheitsgefühl von jüdischen Studierenden" beitragen.

Aktivisten und Aktivistinnen hatten am Montagnachmittag auf dem Campus der Universität im Alten AKH ein Protestcamp errichtet. Ihr Unmut richtet sich gegen den Krieg in Gaza, sie werfen Israel "Apartheid" und "Genozid" vor. Rund 100 Personen versammelten sich am Montag laut Polizeiangaben im Hof 1 des Geländes, viele kamen mit Zelten. Sie errichteten ähnliche Lager, wie sie aus anderen Ländern, allen voran den USA, schon bekannt sind. Dienstagvormittag hatte sich die Anzahl der anwesenden Protestierenden laut Polizei auf rund 25 reduziert.

Das Bündnis BDS ist ein loser internationaler Zusammenschluss, der für einen Boykott israelischer Waren eintritt. In Österreich und auch Deutschland wurde die Gruppe als antisemitisch eingestuft. Der Funke wiederum ist eine trotzkistische Organisation, die wegen ihrer radikalen Nahost-Positionierung immer wieder in der Kritik steht. So rief sie unter anderem auf Instagram zur "Intifada bis zum Sieg!" auf oder sprach bei einer Demonstration für die Palästinenser davon, dass das Leid in Gaza beendet werden könne, indem "dieser israelische Terror- und Apartheidstaat weg ist", wie das Nachrichtenmagazin Profil berichtet.

"Intifada Camp"

Auf Schildern und Bannern auf dem Campus verkünden Sprüche unter anderem: "Widerstand ist international", "Laut gegen Genozid", "Kriegsverbrechen hat kein Existenzrecht" oder, auf Englisch, "Kampf dem Patriarchat und dem Kolonialismus" und "Blut an euren Händen". Auf Twitter kursieren außerdem Fotos, die Transparente mit der Aufschrift "Student Intifada Camp" zeigen. Als Intifada wurden die Aufstände der Palästinenser gegen Israel bezeichnet, die Ende der 1980er-Jahre begannen und zu einer Welle von Gewalt und Terroranschlägen führten.

Die Zelte standen trotz des schlechten Wetters auch am Dienstag noch
Die Zelte standen trotz des schlechten Wetters auch am Dienstag noch.
Stefanie Rachbauer

"Schließt euch uns an, wenn wir den Kampf vom Campus auf die Straßen eskalieren", heißt es in einer Forderung der Gruppe hinter der Aktion, die sich in sozialen Medien "Palestine Solidarity Encampment Vienna" nennt.

Forderungen der Protestierenden

Auf deren Instagram-Profil werden der Universität Wien die Unterstützung einer Besatzung und die "Mitschuld" an einem, so ihr Vorwurf, Völkermord Israels in Gaza vorgeworfen. Gefordert wird unter anderem, dass "alle Universitäten und Forschungsinstitute in Österreich ihre Forschungskooperationen und Finanzierungsprogramme mit dem Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) sowie mit Waffenherstellern" beenden.

Selbiges gelte für Forschungskooperationen und Erasmus-Partnerschaften mit israelischen Universitäten. Sämtliche Universitäten in Österreich sollen demnach zudem Investitionen in Unternehmen und Institutionen auflösen, die etwa zu Krieg in den palästinensischen Gebieten führen.

Lesematerial und Tänze

Eine der Aktivistinnen, Lara Chammakh, sagt im Gespräch mit dem STANDARD, die Protestierenden wollten so lange bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt seien. Sie würden es auch auf eine Räumung ankommen lassen. Die Leute hier wüssten schon lange "von der Komplizenschaft der Uni" bei dem "Völkermord". Über die Kritik an dem Protest sagt sie: "Alles als Antisemitismus abzustempeln funktioniert nicht." Österreich habe mehrmals gegen einen Waffenstillstand gestimmt. In der Uno-Generalversammlung stimmte Österreich tatsächlich gemeinsam mit 13 anderen Staaten gegen eine Resolution zu einer Waffenruhe. Man vermisse dabei eine Verurteilung der Hamas, lautete damals das Argument aus Wien.

Vorwurf des Genozids

Südafrika wirft Israel Völkermord vor. Das Land hat seine Klage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) auf die Genozid-Konvention gestützt. Die 1948 verabschiedete Konvention mit dem klar definierten Verbrechen des Völkermords war die Antwort auf die industrielle Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten. Die Vernichtungsabsicht und die durchorganisierte Umsetzung ist das Wesensmerkmal dieses Tatbestands.

Banner, Regenschirme und Lesematerial.
Stefanie Rachbauer

Der Internationale Gerichtshof hat schließlich angeordnet, dass Israel sicherzustellen habe, dass es im Gazastreifen nicht zu völkermörderischen Akten kommt. Den Genozidvorwurf hat das Gericht allerdings nicht bestätigt. In einem Interview mit dem britischen Fernsehsender BBC stellte Joan Donoghue, die zum Zeitpunkt der Anordnung Präsidentin des IGH war und den Vorsitz im Fall von Südafrika Genozidklage gegen Israel führte, klar: Das Gericht "hat nicht entschieden – und hier korrigiere ich etwas, das in den Medien oft gesagt wird –, dass die Behauptung des Völkermords plausibel ist". Sondern: Der IGH habe es für vorläufig plausibel gehalten, dass die Palästinenser einen Anspruch auf Schutz vor Völkermord hätten.

Weitere Kritik der ÖH

Dass gerade am Yom HaShoah, dem nationalen israelischen Gedenktag für die Opfer der Schoah und für den jüdischen Widerstand gegen die Judenverfolgung, Flyer verteilt würden, "auf denen zur 'Global Student Intifada', sprich zur Ermordung von Jüd*innen und Israelis aufgerufen wird, ist untragbar", hält die ÖH der Uni Wien fest.

Den leidenden Menschen in Palästina helfe es nicht, wenn antisemitische Gruppierungen Bedrohungsszenarien für jüdische Personen schaffen: "So sehr man die brutale Kriegsführung der israelischen Regierung auch kritisieren muss, darf dies jedoch niemals dazu führen, dass sich jüdische Menschen nicht mehr sicher fühlen. Echte Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung darf nicht antisemitisch sein."

Polizei sieht keinen Grund für Auflösung

Derzeit gibt es laut der Landespolizeidirektion Wien keine Grundlage für eine Auflösung des Protests, hieß es Dienstagvormittag auf STANDARD-Nachfrage, da "bislang weder ein strafrechtliches Verhalten feststellbar war noch die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet ist". Die Spontankundgebung werde seit Montag "von Polizeikräften genau beobachtet und im Sinne des Versammlungsgesetzes regelmäßig rechtlich beurteilt". Die Polizei prüfe auch, ob es zu allfälligen Störungen des Hochschulbetriebs komme.

Die Universität Wien distanzierte sich bereits Montagabend "entschieden" von den Anliegen der "Pro-Palästina-Proteste" auf dem Campus. Antisemitismus und die Verharmlosung von Terror hätten keinen Platz an der Universität Wien, hieß es in einer Stellungnahme. Und weiter: "Für sachliche Diskussionen auch zu kontroversiellen Themen bieten Universitäten ein kritisches Forum. Einseitige Darstellungen, Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus dagegen verurteilen wir in aller Schärfe."

Auch Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) betonte, dass es "an Österreichs Universitäten keinen Platz für Antisemiten und Extremisten gibt": "In unserem Land gilt die Freiheit der Wissenschaft, jedoch lassen wir null Toleranz gegenüber jeglicher Form von extremistischen und antiisraelischen Haltungen walten", hieß es in einer der APA übermittelten Stellungnahme. "Ich verurteile daher alle Aktivitäten und Protestaktionen, die Terrorismus relativieren, Hass schüren und Menschen verunglimpfen, aufs Schärfste. Als österreichische Bundesregierung gilt unsere volle Solidarität Israel."

"Keim für Israel-Hass"

Alon Ishay, Präsident der Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen (JÖH), sagt, in Österreich sei die Situation zwar nicht so dramatisch wie in anderen Ländern, wo jüdische Studierende Angst vor körperlichen oder verbalen Übergriffen haben müssten. Doch "der Keim existiert für Israel-Hass, für israelbezogenen Antisemitismus". Wenn die Studierenden und Rektorate nicht konsequent dagegenhalten würden, "gibt es durchaus das Potenzial, dass sich das weiter verschärft", warnt Ishay.

Banner am Alten AKH
Banner im Alten AKH.
Stefanie Rachbauer

Als Beispiel nennt er den Vortrag der UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese. "Da muss man nicht viel drüber diskutieren, ob das antisemitisch ist. Sie spricht von einer 'jüdischen Lobby', welche angeblich die USA kontrolliert." Trotzdem habe sich ein Lehrender zur Einladung dieser Person entschieden und die Uni den Vortrag nicht untersagt, kritisiert Ishay. Es sei "natürlich legitim, gegen Krieg zu protestieren". Aber: "Wer 'Bomb Tel Aviv' oder 'Intifada' schreit, ruft nicht zu Frieden, sondern zur Ermordung von Jüdinnen und Juden auf."

Es müsse daher, so Ishay, sichergestellt sein, dass es bei solchen Demos nicht zu antisemitischen Äußerungen, Relativierungen des Holocaust oder Aufrufen zur Intifada komme. Das sei allerdings bei den meisten von der JÖH beobachteten Demos der Fall. So seien auch bei dem im Alten AKH gestarteten Protestcamp Flugblätter mit Aufrufen zur Intifada verteilt worden.

Kunstblut-Attacke

In den vergangenen Tagen haben mehrere Protestaktionen rund um den Krieg in Nahost in Österreich für Aufregung gesorgt. Am Montag verschüttete ein Mann bei der Antisemitismus-Konferenz in der Wiener Innenstadt Kunstblut. Beim Eintreffen von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) und dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, Oskar Deutsch, bei der Akademie der Wissenschaften schüttete der Mann mehrere Liter Kunstblut in Richtung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Eine Sprecherin der Ministerin teilte mit, dass der Mann versucht habe, gezielt Edtstadler und Deutsch zu attackieren, was man allerdings knapp habe verhindern können.

Mehr Fälle von Antisemitismus

Die European Conference on Antisemitism, die heuer zum dritten Mal stattfand, habe nicht den Nahostkonflikt, sondern die internationale Vernetzung gegen Antisemitismus behandelt, reagierte Edtstadlers Sprecherin auf die Rechtfertigung des Mannes für seinen Kunstblut-Anschlag. Es sei überhaupt nicht der Ort gewesen, um gegen die Lage in Nahost zu protestieren. "Die Attacke ist daher klar als antisemitisch einzuordnen."

Die diesjährige Antisemitismus-Konferenz stand im Zeichen des steigenden Antisemitismus in Europa. Wie Edtstadler später in einer Rede ausführte, hat die Anzahl antisemitischer Vorfälle in Österreich 2023 um 60 Prozent zugenommen. In mehreren EU-Staaten habe sie sich sogar vervierfacht.

Aktion bei Mauthausen-Gedenken

Hinter der Aktion steckt David Sonnenbaum, ein Gründungsmitglied der Letzten Generation und einer der aktivsten Klimakleber. Er ist inzwischen nicht mehr Mitglied der Gruppe, die immer wieder Verkehrsblockaden in ganz Österreich auslöst, indem unter anderem Hände auf Straßen geklebt werden. Ziel sei es nicht gewesen, die Ministerin direkt zu treffen, sondern mit der Schüttaktion auf den – wie er es nennt – "Völkermord" Israels an den Palästinensern im Gazastreifen aufmerksam zu machen, sagte Sonnenbaum am Montag im Gespräch mit Profil.

Auch im oberösterreichischen Mauthausen kam es am vergangenen Wochenende zu einem Störfall. Dort fand eine Gedenkfeier statt, bei der an die mehr als 200.000 Menschen erinnert wurde, die im KZ Mauthausen und seinen Nebenlagern gefoltert und größtenteils ermordet wurden. Ein Aktivist der linken Splittergruppe Partei der Arbeit trat dabei auf und schwenkte eine Palästina-Fahne. Andere Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätte schrieben "Free Palestine" in das Gästebuch, die Parole wurde auch an eine Holzwand geschmiert. (giu, rach, APA, 7.5.2024)