Die Zahl der suspendierten Schülerinnen und Schüler steigt: Vom Schuljahr 2018/19 auf das Jahr 2022/23 hat sie sich in Österreich auf fast 1.900 verdoppelt. Das Lehrpersonal klagt regelmäßig über die hohe Gewaltbereitschaft in den Klassenzimmern. Und Eltern fallen aus allen Wolken, wenn sich ihr Kind strafbar macht. Gewalt an Österreichs Schulen ist ein komplexes Problem. Man müsse daher früh beginnen, Kindern und Jugendlichen zu erklären, was gehe, was nicht gehe und ab wann eine Handlung strafbar sei, sagt Rechtsanwältin Sabine Schuh.

Genau das leistet das Projekt "Gewalt und Hass – Prävention an Schulen: Die Rechtsanwaltschaft klärt auf", das Schuh leitet. Seit dem Start im vergangenen Schuljahr wurden bereits 30.000 Jugendliche in Wien erreicht. Aber es sollen noch mehr werden. Eine Anwältin oder ein Anwalt kommt direkt ins Klassenzimmer und nimmt sich eine Stunde lang Zeit, um über verbotene Handlungen sowohl in der realen als auch in der Online-Welt aufzuklären. Alle Wiener Schulen der siebten bis neunten Pflichtschulstufe können sich für diese Infoveranstaltung kostenlos bei der Rechtsanwaltskammer anmelden.

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Prävention statt Strafe: Juristinnen und Juristen kommen an Wiener Schulen – um sich von Jugendlichen ausfragen zu lassen.
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Auch für den Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer (SPÖ) hat Gewaltprävention enorme Bedeutung. "Vorbeugen ist besser als strafen", ist er sich sicher. Junge Menschen, besonders solche an der Schwelle zur Strafmündigkeit ab 14 Jahren, unterschätzten häufig die Konsequenzen der eigenen Taten.

Wichtig sei, die Eltern stärker ins Boot zu holen, erklärt Himmer. Das sieht Ingo Stein, Direktor der Mittelschule Kopp2 in Ottakring, genauso: "Es bringt alles nichts, wenn nur Schülerinnen und Schüler informiert werden, die Eltern aber keine Awareness haben." Daher wird im Zuge des Projekts der Rechtsanwaltskammer nicht nur den Jugendlichen die Rechtslage in Österreich nähergebracht: Für die Eltern gibt es ein Info-Sheet, auf dem die wichtigsten Informationen über Jugendstraftaten, Hass im Netz und weitere Delikte zusammengefasst sind. Mehrsprachig, wie Himmer betont.

Problemwelt Social Media

"Ich kauf mich einfach frei!", "Online bin ich eh anonym" oder "Darf ich ein Messer mit in die Schule nehmen? Es ist eh nur klein" seien nur drei der Sätze, die Rechtsanwältin Graciela Faffelberger immer wieder von Schülerinnen und Schülern hört, wenn sie im Klassenzimmer steht und über Ver- und Gebote des Rechtsstaats aufklärt. Dabei fällt ihr immer wieder auf: Das Bewusstsein für strafbare Handlungen sei in der "realen Welt" häufig da, im Online-Bereich fehle dieses aber sowohl bei Jugendlichen als auch bei Eltern oft komplett.

Häufig kursiere "gefährliches Halbwissen" zu dem, was erlaubt sei und was nicht, sagt Faffelberger. Dass man jemanden nicht mit einem Messer bedrohen dürfe, sei den meisten noch klar. Aber dass man sich auch durch Drohungen via Messenger-Apps strafbar mache, wüssten viele nicht. Die vermeintliche Anonymität im Netz hinterlasse bei vielen Jugendlichen zudem das Gefühl, dass die Online-Welt ein straffreier Raum sei. Dies sei natürlich nicht so – hier müsse man aber dringend Bewusstsein schaffen, sagt Faffelberger.

Wenn sie im Klassenzimmer stehe, dann wolle sie mit "Urban Legends" aufräumen, die etwa durch Filme oder Serien entstehen. In der österreichischen Rechtsordnung sei es etwa nicht vorgesehen, sich aus dem Gefängnis freizukaufen.

Hass im Netz

Da Hass im Netz in vielfältiger Form zutage tritt, gibt es laut Justizministerium keine einheitliche Definition oder Abgrenzung. Hasspostings können verschiedene Tatbestände erfüllen: neben Verletzungen des Verbotsgesetzes unter anderem auch die Delikte der "Fortdauernden Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems (§ 107c StGB)", "Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen und Gutheißung mit Strafe bedrohter Handlungen (§ 282 StGB)" aber auch "Üble Nachrede (§ 111 StGB)" oder "Beleidigung (§ 115 StGB)".

Social Media App Icons on a Phone: Facebook, Instagram, X, Messenger, Whatsapp
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Darüber müsse man sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsen aufklären, gibt die Rechtsanwaltskammer zu bedenken.
IMAGO/Jonathan Raa

Durch den Digital Services Act und den Digital Markets Act der EU kann seit Februar 2024 leichter gegen Hass im Netz und illegale Handlungen in der Online-Welt vorgegangen werden. In Österreich ist seit 2021 das Hass-im-Netz-Gesetzespaket in Kraft. Postings, welche die Menschenwürde verletzen, sollen seitdem leichter gelöscht werden können. Cyber-Mobbing ist zudem bereits ab dem ersten Posting und nicht erst durch das wiederholte Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen einer Person im Internet strafbar. Juristin Faffelberger warnt: Das sei vielen Eltern und Jugendlichen nicht klar. (Antonia Wagner, 21.3.2021)