Krausz gestikuliert lächelnd in seinem ehemaligen Labor
Ferenc Kraus ist zurück an der Technischen Universität Wien.
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Es ist ein Kellerlabor wie viele andere an österreichischen Hochschulen. Doch das Labor der Technischen Universität Wien in der Gußhausstraße, das der neue Nobelpreisträger Ferenc Krausz am Freitag nur wenige Stunden nach der Zuerkennung des Preises besuchte, ist ein Ort mit besonderen Erinnerungen. Hier gelang in der Nacht des 8. September 2001 der entscheidende Durchbruch. Krausz spricht bei seiner Rückkehr von einer "Achterbahn der Gefühle".

Willkommen geheißen wurde der österreichisch-ungarische Physiker, der 2003 als Direktor an das Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München wechselte, unter anderem vom Leiter des Institut für Photonik der TU Wien, Karl Unterrainer, und seinen einstigen Kollegen Andrius Baltuska und Michael Hentschel. "Es ist wunderbar, einige Kollegen aus der damaligen Zeit wiedergesehen zu haben – die schönste Zeit meines Lebens", betonte der Nobelpreisträger, der am 10. Dezember in Stockholm die Auszeichnung entgegennehmen wird.

In dem etwas beengten Wiener Kellerlabor "gibt es viele historische Plätze, von denen jeder ein eigenes 'Nature'- oder 'Science'-Paper verdient hat", sagte Baltuska vor den Posters mit den Titelseiten dieser und anderer wichtiger Fachmagazine, in denen die bahnbrechenden Experimente veröffentlicht wurden. In besagter Nacht 2001 waren neben Krausz der heute an der TU München tätige Reinhard Kienberger und Hentschel – "den ich heute hier umarmen durfte" – mit im Labor. Manche Geräte aus den damaligen Versuchsaufbauten erkenne er wieder, so Krausz. Die Experimente in Wien seien "definitiv" die Grundlage für den Nobelpreis gewesen.

Video: Physik-Nobelpreisträger Krausz in Wien in "Achterbahn der Gefühle".
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"Unbeschreibliche Zeit"

In einer ersten Reaktion zeigte sich Krausz am Dienstag noch fast ungläubig angesichts des Anrufes aus Stockholm. Daran, dass all das tatsächlich real ist, werde er seither vielfach erinnert: "Sie und ihre lieben Kolleginnen und Kollegen von den Medien sorgen dafür, dass man das mehr und mehr als Wahrheit wahrnimmt", so der Preisträger. "Es ist eine unbeschreibliche Zeit", rekapitulierte Krausz die vergangenen Tage: "Es ist wunderbar, aber ich hoffe, dass das dann auch bald wieder abklingt und ich wieder mehr zum Arbeiten komme", so der Physiker, der unmittelbar nach seiner Wien-Kurzvisite nach Budapest weiterreiste, wo ihn ebenso Gratulationen erwarten.

Das wird Anfang Dezember in Stockholm erneut so sein. Was dort alles ablaufen wird, habe man versucht, ihm in dem ersten Telefongespräch mitzugeben. Nach der Information über die Zuerkennung sei er dafür allerdings nicht mehr sehr empfänglich gewesen, so der gut gelaunte Laureat, der trotz des Rummels um seine Person nächste Woche mit seiner Forschungsgruppe möglichst unbehelligt seinen "Jahresworkshop" abhalten will.

Der Preis sei nun keineswegs "ein Anlass zum Ausruhen, eher im Gegenteil ein weiterer Ansporn". Er wolle den "zusätzlichen Schwung" und die "fantastische Motivation" jedenfalls mitnehmen.

Den entscheidenden Schwung aufnehmen konnte das Wiener Team bereits in den 1990er-Jahren, als es weltweit erstmals gelang, einen intensiven sichtbaren Laserpuls herzustellen, "der nur eine einzige Schwingungsperiode" kurz war. "Das war die Grundlage für alles weitere", erklärte der Forscher. Diese Pulse nutzte man zum Erzeugen von sogenannten Obertönen des Lichts, worin sich die Attosekundenpulse verbargen.

Mit den beispiellos kurzen Laser-Pulsen, die das Wiener Team entwickelte, "hatten wir die Hoffnung, erstmals isolierte einzelne Attosekundenblitze erzeugen zu können. Das ist uns in dem Experiment am 8. September 2001 gelungen", so Krausz: "Das war sicherlich unbeschreiblich, und solche Momente sind jede Mühe wert." Den kommenden Generationen an Forscherinnen und Forscher könne er daher nur mitgeben, dass sich die mitunter entbehrungsreiche Arbeit lohnt.

Nobelpreisträger Krausz vor einem Tisch mit futuristischen Instrumenten
In diesem Labor gelang am 8. September 2001 das denkwürdige Experiment.
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Durchleuchtung von Blutproben

Bald schon seien ihm auch Gedanken gekommen, was sich an Umsetzungen aus den Erkenntnissen ergeben könnte. Der nunmehrige Nobelpreisträger arbeitete daher in den vergangenen Jahren sehr konkret an Anwendungen. Seit 2019 ist Krausz auch als Co-Gründer und Direktor des Center for Molecular Fingerprinting Research in Budapest tätig.

"Das liegt mir persönlich am meisten am Herzen." Der Ansatz ist hier, mit extrem kurzen Infrarot-Laserpulsen Blutproben zu durchleuchten. Dabei werden die Moleküle des Blutes zum Schwingen gebracht. "Sie strahlen dann ihrerseits Rotlicht mit sehr vielen Frequenzen aus." Dieses "Signal können wir mit der Attosekunden-Messetechnik mit extremer Empfindlichkeit abtasten", erklärte Krausz: "Die Hoffnung ist – und sie erhärtet sich mehr und mehr –, dass dieser Infrarot-Fingerabdruck eine enorme Informationsmenge über die gesamte molekulare Zusammensetzung des Blutes liefert."

Damit lasse sich wahrscheinlich die mühsame Suche nach einzelnen Krankheitsanzeigern (Biomarkern) abkürzen und verbessern. "Stattdessen haben wir eine Methode an der Hand, die potenziell alle Moleküle ansprechen kann." Jetzt gelte es herauszufinden, "wie sich dieses Signal verändert, wenn irgendeine Krankheit die Zusammensetzung verändert", erklärte der Physiker.

So konnte man schon zeigen, dass sich Hinweise auf acht Krebsarten, eine Erkrankung der Herzgefäße oder Diabetes finden lassen. "Das hat uns ermutigt, mehr zu wollen, als einfach einzelne Krankheiten zu detektieren." Nun will man beweisen, dass sich der Ansatz für ein breites Gesundheitsmonitoring eignet. Seit drei Jahren läuft dazu in Ungarn eine Studie, mit Zehntausenden Teilnehmern. Die "Träume" gehen in die Richtung, dieses Screening in weniger als zehn Jahren anbieten zu können, betonte Krausz.

Europäische Vision

Gerade dieses Projekt sei ein "Paradebeispiel für grenzüberschreitende europäische Kooperationen". Die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, wo Krausz eine Professur innehat, und die neue Einrichtung in Budapest "arbeiten eng zusammen, um dieses Ziel zu verfolgen. Ich denke, das kann auch Beispielcharakter haben, wie man in Europa eigentlich die Kräfte, das Know-how und unser Können, die Welt zu verbessern, bündeln sollte – wie wir zusammenstehen sollten, um große Probleme und Herausforderungen zu meistern", so der Wissenschafter, der im vergangenen Jahr die Initiative Science 4 People ins Leben gerufen hat.

Das Ziel ist es, Binnenflüchtlingen im Westen der Ukraine zu helfen. "Die Kinder leiden unter solchen Situationen besonders", sagt Krausz. Er nützt sein wissenschaftliches Netzwerk, um mit den Spendengeldern Projekte für Kinder und Jugendliche zu unterstützen. Dafür soll auch der Großteil des Preisgeldes für den Nobelpreis verwendet werden. (red, APA, 6.10.2023)