Joggerin
Leicht, atmungsaktiv, windabweisend und dennoch warm: Funktionskleidung erfreut sich bei sportbegeisterten Menschen oft großer Beliebtheit. So praktisch das Outfit auch ist: Ausrangierte Stücke lassen sich bisher kaum recyceln.
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Etwa 100 Milliarden Kleidungsstücke werden pro Jahr hergestellt. Bisher wird davon nur ein verschwindend kleiner Bruchteil recycelt. Doch das soll sich ändern. Im Rahmen des Green Deal der EU kommt ein Maßnahmenpaket auf die Branche zu, das die Situation in Europa grundlegend verändern soll. Ab 2025 wird Textilmüll getrennt gesammelt und darf nicht mehr im Hausmüll entsorgt werden. Gleichzeitig sind Produzenten dann in der Pflicht, die Entsorgung zu übernehmen. Nicht verkaufte Textilien dürfen nicht mehr vernichtet werden, und Unternehmen müssen über ihren Verbleib Rechenschaft ablegen.

Eine Reihe von Forschungsprojekten ist dabei, die Grundlagen für das neue Textilrecycling zu entwickeln. Gerade erst gestartet ist das Josef-Ressel-Zentrum der FH Wiener Neustadt, das sich am Standort Biotech Campus Tulln "Verwertungsstrategien für Textilien" widmet. Gemeinsam mit Experten für Zellulosechemie der Boku in Tulln, Verfahrenstechnikern der TU Wien und Wirtschaftspartnern soll ein Prozess entwickelt werden, der Materialmischungen aus Baumwolle und Polyester wiederverwertbar macht. Gefördert wird das Forschungszentrum von der Christan-Doppler-Forschungsgesellschaft und vom Wirtschaftsministerium.

Container voller Kleidung
Ab 2025 wird Textilmüll in der EU getrennt gesammelt. Produzierende Unternehmen sind dann verpflichtet, sich um die Entsorgung der Produkte zu kümmern.
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Enzyme als Werkzeug

"80 Prozent der Textilfaserprodukte bestehen aus Baumwolle, Polyester oder Mischungen der beiden Grundstoffe", sagt Projektleiter Christian Schimper von der FH Wiener Neustadt. "Während es sowohl für reine Baumwollprodukte als auch für sortenreines Polyester bereits Recyclingmethoden gibt, fehlen diese bei Mischtextilien noch weitgehend." Gerade Baumwoll-Polyester-Kombinationen sind als bequeme und schnelltrocknende Funktionskleidung besonders weit verbreitet. In diesen Mischgeweben sind Fasern beiderlei Art im Garn verdreht – oft in einem relativ ausgewogenen Verhältnis. Das Ziel ist nun, diese in einer Art aufzuspalten, dass sowohl Baumwolle als auch Polyester ohne große Qualitätsverluste erneut zu Textilien verarbeitet werden können.

Schimper und sein Team greifen dafür auf ein biotechnologisches Verfahren zurück, das die Zellulose der Baumwolle mithilfe von Enzymen trennt. Diese biochemischen Werkzeuge, die beispielsweise auch Totholz in der Natur aufspalten und etwa auch Bestandteil von Waschmitteln sind, beschleunigen biologische Abbauprozesse. "Wir bereiten die Textilien mit verschiedenen Quellmitteln vor, um die Strukturen aufzuweiten", erklärt Schimper. "Die Enzyme bauen dann kleine Bestandteile der Makromoleküle, aus denen Zellulose besteht, zu Glukose ab, wodurch sich größere Molekülbruchstücke ablösen." Ein ähnliches Verfahren wird bereits von der Textilindustrie bei Jeans eingesetzt. Dort werden die Strukturen degradiert, um einen Used Look herzustellen.

Die herausgelösten Fragmente haben eine ähnliche Struktur wie Zellstoff – also jene Pflanzenfasern, die in einem chemischen Verfahren zu Viskose oder dem umweltfreundlicheren Lyocell weiterverarbeitet werden können. Ausschlaggebend für das Recycling ist dabei die erzielbare Reinheit: "Das zellstoffartige Zwischenprodukt erneut zu Fasern zu verspinnen funktioniert nur bei Baumwollanteilen von über 95 Prozent", erklärt Schimper. "Das Polyester muss hingegen noch reiner sein – hier benötigen wir über 99 Prozent."

Kleiderberg vor dem Brandenburger Tor
Im Februar 2024 protestierten Aktivistinnen und Aktivisten von Greenpeace vor dem Brandenburger Tor. Im Zentrum stand dabei die Verschmutzung der Umwelt durch die in Kleidungsstücken enthaltenen Kunstfasern. Insbesondere Fast Fashion trage so zur Plastikverschmutzung des Planeten bei.
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Alttextilien mit KI-Hilfe sortieren

Um eine optimale Aufspaltung zu erreichen, optimieren die Forschenden gemeinsam mit den Boku-Kollegen den verwendeten Enzymmix und passen Verfahrensparameter wie Temperatur und pH-Wert an. Ein Ziel ist, die Prozessdauer auf wenige Stunden zu drücken. In Austausch mit den Verfahrenstechnikern der TU Wien wird sichergestellt, dass sich die Entwicklung auch in einem industriellen Maßstab umsetzen lässt. "Ein großer Vorteil des Ansatzes ist der geringe Energieverbrauch. Die Temperatur im Reaktor muss mit etwa 50 Grad Celsius nicht höher sein als bei einer Haushaltswäsche", sagt Schimper.

Nach der Aufspaltung müssen beide Fraktionen aufgereinigt werden. Gleichzeitig entwickeln die Forschenden auch ein Verfahren zur gezielten Sortierung von Alttextilien. "Eine Arbeitsgruppe an der FH, die sich mit spektroskopischen Untersuchungen beschäftigt, arbeitet daran, zwei Verfahren mithilfe von Machine-Learning-Algorithmen zu verbinden, um die Qualität der Vorsortierung bei hoher Geschwindigkeit zu verbessern", beschreibt der Wissenschafter.

Dass das enzymatische Verfahren zur Auftrennung von Textilmischungen grundsätzlich funktioniert, konnte bereits in einem Vorgängerprojekt gezeigt werden. Im Zuge des fünf Jahre laufenden Ressel-Zentrums soll dieser Ansatz nun zur Marktreife geführt werden, erklärt Schimper. "Wirtschaftspartner im Projekt, die beispielsweise Recyclinganlagen für Kunststoffe anbieten, sollen durch die Forschung in die Lage versetzt werden, ihr Produktportfolio auf Textilfasern zu erweitern." (Alois Pumhösel, 25.3.2024)