Ein Astronaut neben dem Seismometer, mit der Mondlandefähre im Hintergrund.
Eines der auf dem Mond verwendeten Seismometer war das Passive Seismic Experiment, hier im Vordergrund zu sehen.
Nasa

Eines der wichtigsten Messgeräte der Apollo-Missionen der US-Weltraumagentur Nasa, die ab 1969 erstmals Menschen auf einen anderen Himmelskörper transportierten, war ein Seismometer. Ziel war es, Erschütterungen des Monds aufzuspüren. Das gelang: Über mehrere Missionen hinweg wurden so über 13.000 Mondbeben registriert, die Aufschluss über das Innenleben des Erdtrabanten gaben.

Doch der Erfolg täuscht über eine weniger bekannte Tatsache hinweg. Das Passive Seismic Experiment bestand eigentlich aus vier Seismometern. Drei davon registrierten langwellige Erschütterungen und konnten so deren Richtung bestimmen. Eines hingegen war auf kurzwellige, schnelle Erschütterungen ausgelegt.

Die Erkenntnisse, die wir heute aus den Mondbebenmessungen von Apollo besitzen, stammen alle von den Messungen langwelliger seismischer Signale. Die Aufzeichnungen der kurzwelligen Signale erwiesen sich als unbrauchbar. Störgeräusche des Equipments dominierten dort und erzeugten undurchdringliches Rauschen.

Eine Skizze des Seismometers.
Der Aufbau des Mondseismometers von Apollo 11.
Nasa

Archivierte Magnetbänder

Die Nasa verlor also das Interesse an den Daten. Die Magnetbänder verschwanden in einem Archiv, manche gingen sogar verloren. Doch die University of Texas sammelte 12.000 der Bänder und archivierte sie. Als ein ehemaliger Apollo-Mitarbeiter, der Geophysiker Yosio Nakamura, die Bänder in den 1990ern "modernisieren" und auf Kassetten übertragen wollte, scheiterte das an mangelnder Finanzierung durch die Nasa. Die Kosten übernahm schließlich die japanische Aerospace Exploration Agency.

Nakamura ahnte schon damals, dass sich hinter dem Rauschen weitere Mondbeben verbergen könnten. "Wir dachten, dass es viele, viele mehr geben müsste, aber wir konnten sie nicht finden", sagt er gegenüber dem Wissenschaftsportal "Science".

Und Nakamura scheint recht zu behalten. Eine neue Analyse der inzwischen digitalisierten Daten enthüllte etwa 22.000 bisher unbekannte Mondbeben. Davon berichtete ein Team um den Seismologen Keisuke Onodera von der Universität Tokio nun auf der Lunar-and-Planetary-Science-Konferenz. Die Ergebnisse wurden beim "Journal of Geophysical Research" zur Publikation eingereicht und werden derzeit begutachtet.

Zwei Graphen, oben mit Rauschen, unten bereinigt.
Die Bereinigung der Daten enthüllte zahlreiche neue Mondbeben.
K. Onodera

Altmodische Rauschunterdrückung

Das Team legt Wert darauf, für das Reinigen der Daten keine KI-Methoden verwendet zu haben, sondern konservative Rauschfilter. Dabei tauchten nach dreimonatiger Analyse tatsächlich zigtausende neue Beben auf. Etwa 22.000 blieben letztlich übrig, die tatsächlich die korrekte seismische Form eines Mondbebens haben.

Wie zu erwarten lassen sich viele der Beben auf Einschläge von Meteoriten zurückführen, von denen der Mond mangels einer schützenden Atmosphäre pausenlos bombardiert wird. Ebenfalls fand man Beben, die auf die Schwerewirkung der Erde zurückzuführen waren.

Übrig blieben schließlich 46 Beben, die in keine der beiden Kategorien passten. Es schien sich um Erschütterungen in einer Tiefe von zehn Kilometern oder mehr zu handeln. Solche waren bereits früher festgestellt worden, doch die bisher bekannten 28 tiefen Mondbeben waren außergewöhnlich stark gewesen. Mit einer Magnitude von 5,5 hatten sie durchaus eine Gefahr für die Astronauten dargestellt. Die neu entdeckten Beben waren erheblich schwächer.

Ein Astronaut auf dem Mond steht vor einem zylinderförmigen Objekt, das mit Solarpaneelen versehen ist.
Das hier gezeigte Seismometer der Apollo-11-Mission war einfacher als die Seismometer der folgenden Missionen.
Nasa

Schwächezonen

Während die neue Arbeit noch auf ihre Publikation in einem Fachjournal wartet, zeigen sich Fachleute fasziniert. Geophysiker Jeffrey Andrews-Hanna von der University of Arizona sagt, die neue Untersuchung zeige, "dass der Mond möglicherweise seismisch und tektonisch aktiver ist als bisher angenommen". Seismologin Alice Turner von der Universität Tokio analysierte die Daten mittels einer anderen Methode und fand dieselben Beben. "Wir haben nun zwei unabhängige Möglichkeiten, um festzustellen, ob es sich bei diesen Signalen um Mondbeben handelt", sagt Turner.

Vermutet wurde bisher, dass die Beben wie auf der Erde in der Nähe von Schwächezonen auftreten könnten, wenn sich der Mond aufgrund der Temperaturunterschiede zwischen den langen Mondtagen und -nächten ausdehnt und zusammenzieht. Doch das Verhältnis von kleinen zu großen Beben stimmt damit nicht überein, wenn man die neuen Daten berücksichtigt. Die Beben scheinen aus größerer Tiefe zu kommen.

Häufung im Norden

Eines bereitet den Forschenden vor allem Kopfzerbrechen: Apollo 15 war die Apollo-Mission, deren Landeplatz am weitesten nördlich lag. Und ausgerechnet im Rahmen dieser Mission wurden besonders viele Mondbeben registriert. Onodera bringt als mögliche Ursache alte Magmaeinschüsse in der Mondkruste auf dessen Nordhalbkugel ins Spiel, die vor einem Jahrzehnt von der Nasa-Sonde Grail entdeckt wurden. Wie dieses lange erkaltete Magma dafür verantwortlich sein könnte, bleibt allerdings unklar.

Derzeit lässt sich nicht ausschließen, dass es ein Problem mit den Apollo-15-Messungen gibt. Es wäre nicht das erste Mal, dass vermeintliche Mondbeben nicht natürlichen Ursprungs waren. Eine Untersuchung der seismischen Daten der Apollo-17-Mission zeigte eine ungewöhnliche neue Art von Mondbeben, das aber verblüffenderweise genau von der Mondlandefähre zu kommen schien. Schließlich ließ sich das Signal auf Ausdehnung und Schrumpfen des Landemoduls durch die Sonneneinstrahlung zurückführen.

Eine andere Erklärung ist also auch im aktuellen Fall nicht auszuschließen. Doch abwegig sei eine natürliche Ursache nicht, sagt Turner. "Der Mond ist seltsam", betont die Forscherin. Der Effekt könne durchaus echt sein.

Nächstes Jahr soll im Rahmen eines Nasa-Programms für kommerzielle Mondflüge wieder ein Seismometer auf dem Mond landen. Dann wird sich womöglich zeigen, ob der Effekt real ist. (Reinhard Kleindl, 24.3.2024)