Constantin Seibt: "Wir brauchen Leute, die etwas zu gewinnen haben, nicht etwas zu verteidigen."

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Berlin - Ohne Kontext geht es nicht. Wenn sich in sozialen Netzwerken Breaking News rasch verbreiten, müssen traditionelle Medienorganisationen die Einordnung bieten. Das fordert der Schweizer Journalist Constantin Seibt auf der Internetkonferenz Republica in Berlin.

Industrielle Revolution

Eine Zeitung ist eine riesige Industriemaschine, erklärt er. Die Routinen im Medienbetrieb gelte es zu durchbrechen, die Disruption kommt vom Leser. "Wir verkaufen nicht Nachrichten, sondern Gewohnheiten", kritisiert Seibt die Branche. Leser hätten durch das Internet jedoch Zugang zu Zeitungen aus aller Welt, Blogs und Social Media. "Wir sind von den Königen des Morgens zu den Mäusen unter dem Tisch geworden", beschreibt es Seibt. Niemand empfehle einen Artikel, nur weil er nicht enttäuscht habe. Ein Abo sei keine Routineentscheidung mehr, sondern ein Bekenntnis. Nicht Neuigkeiten, sondern die Geschichte dahinter müssten Medien bieten. Ohne Haltung, Kühnheit - Stichwort "Guardian" und Greenwald -, Aufrichtigkeit gehe es dabei nicht.

Das Selbstbild des Journalisten, der Journalistin müsse sich ebenfalls ändern. Wie ein "alternder Schlagersänger" zu verharren gehöre nicht dazu. "Wir brauchen Leute, die etwas zu gewinnen haben, nicht etwas zu verteidigen", sagt Seibt. Die Branche solle nicht "mit Winseln" untergehen, sondern kämpfen.

Zukunft der Medien

Um Einordnung und Kontext geht es auch in der Debatte "Future of News - The Crowd vs. The Editor" der Media Convention Berlin. Benjamin Ruth von Vice Media Germany beschreibt die neue Rollenverteilung: Twitter ist gut für Information, Nachrichtenagenturen und Medien sorgen für Einordnung. Richard Porter, BBC Global News, korrigiert das Debattenthema: Journalisten und Publikum hätten mehr voneinander als gegeneinander. Auch wenn Dienste wie Twitter und Bambuser Zugriff auf Augenzeugen vor Ort möglich machen, seien die besten Quellen vor Ort immer noch Korrespondenten, so Porter.

23 Thesen

23 Thesen zur Zukunft präsentieren Jessica Binsch (dpa), Ole Reißmann (Spiegel Online) und Hakan Tanriverdi (sueddeutsche.de) in ihrer "Breaking News"-Show. Medien müssen auf das Nutzerverhalten reagieren. "Wir werden in die Tasche gesteckt" - auf den mobilen Trend gelte es zu reagieren. Man solle mehr experimentieren, anstatt zu verharren - etwa den Start von Buzzfeed in Deutschland zu erwarten.

Mehr Hacker in den Newsroom, Journalismus sei zur Hälfte Technik, weg mit den Ressorts, "wir brauchen eine 'Sendung mit der Maus' für Erwachsene", fordern die Jungjournalisten. Online brauche es den "Mut zur Einfachheit".

Die gute Nachricht: Leser belohnen harte Arbeit. Online brauche es nicht nur Häppchenjournalismus. Lange Geschichten seien, richtig aufgemacht, auch gefragt. Das steigert nebenbei auch die Verweilzeit und lässt die Maßeinheit Klicks weniger wichtig werden. (Sabine Bürger, derStandard.at, 7.5.2014)